Verfassung der Republik China

vom 10. Oktober 1923

faktisch aufgehoben infolge der militärischen Vereinigung ("Nordfeldzug") unter Führung der Kuo-min-tang (= Chinesische Nationalpartei) im Jahr1924
und ersetzt durch die Richtlinien Sun Yat-sens zum Staatsaufbau vom 12. April 1924
 

Die verfassunggebende Versammlung der Republik China, von dem Willen beseelt, das nationale Ansehen zu erhöhen, die Grundlage des Staates zu festigen, das Wohl des Volkes zu mehren und für die Ideale der Menschlichkeit einzutreten, hat die gegenwärtige Verfassung beschlossen, die für das ganze Reich verkündet werden soll, um von allen gewissenhaft und dauernd befolgt zu werden.

Kapitel I.
Staatsform.

Art. 1. Die Republik China ist auf ewig ein demokratischer Einheitsstaat.

Kapitel II.
Staatsgewalt.

Art. 2. Die Staatsgewalt der Republik China geht von dem gesamten Volke aus.

Kapitel III.
Staatsgebiet.

Art. 3. Das Staatsgebiet der Republik China umfaßt alle Länder, die gegenwärtig in ihrem Besitz stehen.

Das Staatsgebiet der Republik China kann ebenso wie seine Verwaltungsbezirke nur durch Gesetz geändert werden.

Kapitel IV.
Staatsbürger.

Art. 4. Bürger der Republik China ist jeder, der nach dem Gesetz die chinesische Staatsangehörigkeit besitzt.

Art. 5. Die Bürger der Republik China sind vor dem Gesetz gleich ohne Unterschied der Rasse, des Standes oder des Bekenntnisses.

Art. 6. Kein Bürger der Republik China kann unter anderen als den gesetzlichen Voraussetzungen verhaftet, gefangengesetzt, verhört oder bestraft werden.

Jeder Verhaftete kann nach dem Gesetz verlangen, vor Gericht gestellt zu werden, damit eine Untersuchung über die Ursache seiner Verhaftung erfolgt.

Art. 7. Die Wohnung eines Bürgers der Republik kann nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen gewaltsam betreten oder durchsucht werden.

Art. 8. Das Briefgeheimnis ist in der Republik China unverletzlich, sofern nicht das Gesetz eine Ausnahme vorsieht.

Art. 9. Die Bürger der Republik China dürfen ihren Wohnsitz und ihren Beruf frei wählen: dieses Recht kann nur den Beschränkungen unterworfen werden, die im Gesetz vorgesehen sind.

Art. 10. Die Bürger der Republik China genießen Vereins- und Versammlungsfreiheit; dieses Recht kann nur den gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden.

Art. 11. Die Bürger der Republik China haben das Recht, ihre Meinung durch Wort, Schrift und Druck frei zu äußern; dieses Recht kann nur den gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden.

Art. 12. Die Bürger der Republik China haben das Recht, die Lehre des Konfuzius zu befolgen oder jeder anderen Religion anzugehören. Dieses Recht kann nur den gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden.

Art. 13. Das Privateigentum ist in der Republik China unverletzlich. Eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit muß sich innerhalb der gesetzlichen Vorschriften halten.

Art. 14. Den Bürgern der Republik China stehen außer den Freiheiten, die in diesem Kapitel erwähnt sind, alle Freiheiten zu, die mit den Grundsätzen verfassungsmäßiger Regierung nicht im Widerspruch stehen.

Art. 15. Die Bürger der Republik China haben das Recht, innerhalb der gesetzlichen Grenzen die Gerichte in Anspruch zu nehmen.

Art. 16. Die Bürger der Republik China haben das Recht, Bitten und Beschwerden innerhalb der Grenzen des Gesetzes vorzubringen.

Art. 17. Die Bürger der Republik China haben das Recht, innerhalb der Schranken des Gesetzes zu wählen und gewählt zu werden.

Art. 18. Die Bürger der Republik China sind zu allen öffentlichen Ämtern innerhalb der Schranken des Gesetzes zugelassen.

Art. 19. Die Bürger der Republik China sind verpflichtet, die Steuern und Abgaben, die gesetzlich vorgeschrieben sind, zu zahlen.

Art. 20. Die Bürger der Republik China sind innerhalb der Schranken des Gesetzes zum Militärdienst verpflichtet.

Art. 21. Die Bürger der Republik China sind gehalten, sich Volksschulunterricht innerhalb der Schranken des Gesetzes erteilen zu lassen.

Kapitel V.
Staatsgewalt.

Art. 22. Die Staatsgewalt der Republik China, soweit sie sich auf die Staatsgeschäfte bezieht, wird nach der gegenwärtigen Verfassung ausgeübt; soweit sie örtliche Angelegenheit betrifft, wird sie nach den Grundsätzen der gegenwärtigen Verfassung und den Gesetzen ausgeübt, die die provinziale Selbstverwaltung regeln.

Art. 23. Der Staat hat das Recht der Gesetzgebung und der Ausführung der Gesetze über folgende Gegenstände:
1. Auswärtige Beziehungen.
2. Die nationale Verteidigung.
3. Die Staatsangehörigkeit.
4. Strafrecht, bürgerliches Recht und Handelsrecht.
5. Strafvollzug.
6. Maße und Gewichte.
7. Währung und Staatsbanken.
8. Zölle, Salzsteuern, Stempelsteuern, Steuern auf Wein und Tabak, andere Verbrauchssteuern, sowie Zölle und Abgaben, deren Grundsätze im ganzen Lande einheitlich geregelt werden müssen.
9. Post, Telegraphie und Luftverkehr.
10. Staatseisenbahnen und Staatswege.
11. Staatseigentum.
12. Staatsschulden.
13. Monopole und Patente.
14. Prüfung, Ernennung, Überwachung und Schutz der Zivil- und Militärbeamten des Staats.
15. Andere Gegenstände, die nach den Vorschriften der gegenwärtigen Verfassung zu den Staatsgeschäften zu rechnen sind.

Art. 24. Die nachfolgend angeführten Gegenstände gehören zur Zuständigkeit der Gesetzgebung des Staates, aber ihre Ausführung kann mit Zustimmung der Regierung den örtichen Behörden überlassen bleiben:
1. Landwirtschaft, Industrie, Bergbau und Forstwirtschaft.
2. Öffentlicher Unterricht.
3. Einrichtung der Banken und Börsen.
4. Seeverkehr und Seefischerei.
5. Benutzung der Wasserläufe und Wasserwege, die zwei oder mehr Provinzen angehen.
6. Allgemeine Grundsätze über die Kommunalverwaltung.
7. Requisitionen im öffentlichen Interesse.
8. Volkszählung und Statistik.
9. Siedlung und Erschließung von Kulturland.
10. Organisation der Polizei.
11. Öffentliche Gesundheitsfürsorge.
12. Öffentliche Hilfeleistung und Unterstützung der Berufslosen.
13. Erhaltung der alten Schriften, Gegenstände oder Bauten von historischem Interesse.

Über die oben aufgeführten Gegenstände können die Provinzen eigene Gesetze erlassen, vorausgesetzt, daß sie den Staatsgesetzen nicht widersprechen.

Über die in den Ziffern 1, 4, 10, 11, 12, 13 dieses Artikels aufgeführten Gegenstände können die Provinzen ihre eigene gesetzgebende Gewalt ausüben, solange die Staatsregierung darüber keine Gesetze erlassen hat.

Art. 25. Die nachstehend genannten Gegenstände sind der Provinzialgesetzgebung unterworfen oder die Ausführung dieser Gesetze kann durch die Provinzialverwaltung den Distrikten anvertraut werden:
1. Provinzialunterricht , -industrie und -verkehr.
2. Verwaltung und Verwendung des Provinzialvermögens.
3. Die Geschäfte der provinzialen Magistrate.
4. Unterhaltung und Verbesserung der provinzialen Wasserläufe und die provinzialen öffentlichen Arbeiten.
5. Grundsteuern, Urkundensteuern und andere provinziale Abgaben.
6. Provinziale Schulden.
7. Provinziale Banken.
8. Provinziale Polizei und Gegenstände der öffentlichen Sicherheit.
9. Öffentliche Wohltätigkeitsanstalten der Provinzen und Unternehmungen zum Zwecke des öffentlichen Wohls.
10. Regelung der örtlichen Selbstverwaltung.
11. Andere Gegenstände, die durch die Staatsgesetzgebung übertragen werden.

Wenn die hier erwähnten Gegenstände zwei oder mehr Provinzen angehen, können sie gemeinsam von diesen Provinzen geregelt werden, vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Bestimmungen, und wenn die Geldmittel unzureichend sind, können ihnen Unterstützungen aus der Staatskasse nach Billigung des Parlaments gewährt werden.

Art. 26. Die in den Artikeln 23, 24 und 25 nicht erwähnten Gegenstände gehören zur Zuständigkeit der Zentralverwaltung, wenn sie ihrer Natur nach den Staat betreffen. Sie gehören zur Zuständigkeit der Provinz, wenn sie ihrer Natur nach die Provinz betreffen. Im Falle eines Streites wird die Frage zur Entscheidung dem höchsten Gerichtshof überwiesen.

Art. 27. Die Zentralverwaltung kann. um die nachstehend erwähnten Schwierigkeiten zu verhindern oder um das Gemeinwohl zu erhalten, die Art der durch die Provinzen erhobenen Steuern und ihre Erhebungsgrundsätze ändern:
1 . Steuern, die den Einkünften des Staates oder dem nationalen Handel schädlich sind.
2. Doppelbesteuerungen.
3. Gebühren für die Benutzung öffentlicher Wege oder anderer Verbindungsmittel, wenn sie das gewöhnliche Maß überschreiten oder den Verbindungen selbst schädlich sind.
4. Abgaben, die zum Schutz der provinzialen Erzeugnisse auferlegt sind und für die Einfuhr inländischer Erzeugnisse schädlich sind.
5. Durchgangszölle für Waren zwischen Provinzen und verschiedenen örtlichen Verwaltungsbezirken.

Art. 28. Alle provinzialen Gesetze, die in Widerspruch zu den Staatsgesetzen stehen, sind null und nichtig.

Wenn es zweifelhaft ist, ob ein Widerspruch zwischen den provinzialen und Staatsgesetzen vorliegt, soll der Fall zur Entscheidung dem obersten Gerichtshof vorgelegt werden.

Die hier erwähnten Bestimmungen bezüglich der Entscheidung sind auch anwendbar im Falle von Widersprüchen zwischen den Staatsgesetzen und den Gesetzen, die die provinziale Selbstverwaltung regeln.

Art. 29. Im Falle eines Fehlbetrags in dem staatlichen Haushalt oder im Falle eines dringenden Bedürfnisses müssen die Provinzen, wenn das Parlament zustimmt, den Betrag nach Maßgabe ihrer jährlichen Einkünfte tragen.

Art. 30. Im Falle der Unzulänglichkeit der Geldmittel oder eines außergewöhnlichen Unglücks kann der betroffene örtliche Verwaltungsbezirk mit Zustimmung des Parlaments Unterstützungen aus dem Staatsschatz erhalten.

Art. 31. Streitigkeiten zwischen den Provinzen werden vom Senat entschieden.

Art. 32. Die Organisation der Wehrmacht beruht auf dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht jedes Staatsbürgers. Abgesehen von der Ausführung der Bestimmungen der Gesetze über den Militärdienst haben die Provinzen keine andere Militärpflicht in Friedenszeiten zu erfüllen.

Die Bürger, die zum Militärdienst verpflichtet sind, werden in verschiedenen Abständen für eine bestimmte Zeit zu Waffenübungen in den verschiedenen Verwaltungsbezirken einberufen. Dagegen wird die reguläre Armee nur in den Gebieten aufgestellt, wo nationale Verteidigung erforderlich ist.

Die militärischen Ausgaben dürfen nur ein Viertel der gesamten jährlichen Staatsausgaben betragen; diese Bestimmung gilt jedoch nicht für die Zeit eines auswärtigen Krieges. Die Stärke des nationalen Heeres wird durch das Parlament festgesetzt.

Art. 33. Keine Provinz darf ein politisches Bündnis schließen.

Keine Provinz darf eine Tätigkeit vornehmen, die anderen Provinzen oder Verwaltungsbezirken schädlich ist.

Art. 34. Keine Provinz darf ein stehendes Heer aufstellen oder Militärschulen und Arsenale einrichten.

Art. 35. Eine Provinz, die die Pflichten nicht erfüllt, die ihr durch Staatsgesetz auferlegt sind, und die in ihrem Ungehorsam beharrt, nachdem sie durch die Regierung zum Gehorsam ermahnt ist, kann durch die Machtmittel des Staats zur Erfüllung der ihr obliegenden Pflichten gezwungen werden.

Die Ausführung der oben erwähnten Maßnahmen muß aufgehoben werden, wenn sie vom Parlament mißbilligt wird.

Art. 36. Wenn eine Provinz eine andere Provinz mit bewaffneter Macht angreift, kann die Zentralregierung dies auf dem in dem vorhergehenden Artikel bezeichneten Wege verhindern.

Art. 37. Im Falle eines Wechsels der Staatsform oder im Falle einer Verletzung der grundlegenden Organisation der Verfassung können die Provinzen zusammenwirken, die durch die Verfassung vorgeschriebene Organisation bis zur Wiederherstellung des alten Zustandes aufrechtzuerhalten.

Art. 38. Die Bestimmungen dieses Kapitels, soweit sie sich auf die Provinzen beziehen, sind in gleicher Weise auf die Landesteile anwendbar, die in Distrikte geteilt sind und die noch nicht in Provinzen zerfallen.

Kapitel VI.
Parlament.

Art. 39. Die gesetzgebende Gewalt der Republik China wird vom Parlament ausgeübt.

Art. 40. Das Parlament setzt sich aus dem Senat und dem Abgeordnetenhaus zusammen.

Art. 41. Der Senat setzt sich zusammen aus den Senatoren, die von den höchsten örtlichen Körperschaften und den anderen durch Gesetz bestimmten Wahlkörperschaften gewählt werden.

Art. 42. Das Abgeordnetenhaus setzt sich zusammen aus den in den einzelnen Wahlbezirken nach dem Verhältnis ihrer Bevölkerung gewählten Abgeordneten.

Art. 43. Die Art der Wahl der Mitglieder beider Kammern wird durch Gesetz bestimmt.

Art. 44. Niemand darf zugleich Mitglied beider Kammern sein.

Art. 45. Die Mitglieder der beiden Kammern dürfen nicht zu gleicher Zeit ein Zivil- oder Militäramt bekleiden.

Art. 46. Jede der beiden Kammern bestimmt selbst die Rechte ihrer Mitglieder.

Art. 47. Die Mitglieder des Senats werden auf sechs Jahre gewählt. Ein Drittel dieser Mitglieder wird alle zwei Jahre neu gewählt.

Art. 48. Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses werden auf drei Jahre gewählt.

Art. 49. Die Mandate der in den Artikeln 47 und 48 erwähnten Mitglieder beider Kammern erlöschen, nachdem die Neuwahlen erfolgt sind, einen Tag vor Eröffnung des Parlaments.

Art. 50. In jeder Kammer wird aus den Mitgliedern ein Präsident und ein Stellvertreter des Präsidenten gewählt.

Art. 51. Das Parlament beruft, eröffnet und schließt seine Sitzungen selbst; doch müssen in folgenden Fällen außerordentliche Sitzungen stattfinden:
a) auf Verlangen von mehr als einem Drittel der Mitglieder jeder Kammer,
b) bei Berufung durch den Präsidenten der Republik.

Art. 52. Die ordentliche Sitzung des Parlaments beginnt am 1. Tage des 8. Monats jeden Jahres.

Art. 53. Die Dauer der ordentlichen Sitzungsperiode beträgt 4 Monate und kann um eine Zeit verlängert werden, die diejenige der ordentlichen Sitzungsperiode nicht überschreiten darf.

Art. 54. Die Eröffnung und Schließung des Parlaments findet gleichzeitig in beiden Kammern statt.

Wenn eine Kammer ihre Sitzung aufhebt, muß auch die andere ihre Sitzung aufheben.

Wenn das Abgeordnetenhaus aufgelöst ist, muß sich der Senat gleichfalls vertagen.

Art. 55, Die beiden Kammer erledigen ihre Arbeiten unabhängig voneinander. Der gleiche Gesetzentwurf darf nicht gleichzeitig beiden Kammern vorgelegt werden.

Art. 56. Eine Angelegenheit darf nur dann in der einen oder anderen Kammer beraten werden, wenn mehr als die Hälfte der gesamten Mitgliederzahl anwesend ist.

Art. 57. Jede Frage, die der einen oder anderen Kammer vorgelegt wird, wird durch die Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder entschieden. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag.

Art. 58. Eine übereinstimmende Entscheidung beider Kammern bildet eine Entscheidung des Parlaments.

Art. 59. Die Sitzungen der Kammern sind öffentlich, jedoch kann jede Kammer, auf Wunsch der Regierung oder durch Beschluß der Kammer selbst, geheim tagen.

Art. 60. Wenn das Abgeordnetenhaus feststellt, daß der Präsident oder der Vizepräsident der Republik Hochverrat beabsichtigen, kann es ihn durch einen Beschluß einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder, die zwei Drittel der Gesamtzahl der Mitglieder betragen müssen, in Anklagezustand versetzen.

Art. 61. Wenn das Abgeordnetenhaus der Ansicht ist, daß ein Kabinettsminister das Gesetz verletzt hat, kann sie ihn mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder in Anklagezustand versetzen.

Art. 62. Die Deputiertenkammer kann ein Mißtrauensvotum gegen die Kabinettsminister fassen.

Art. 63. Der Senat urteilt über die Anklage gegen den Präsidenten, den Vizepräsidenten oder die Minister.

In dem oben erwähnten Fall kann die Schuldigerklarung wegen Hochverrats oder Verletzung des Gesetzes nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln aller anwesenden Mitglieder ausgesprochen werden.

Wenn der Präsident oder Vizepräsident des Hochverrats für schuldig erklärt worden ist, wird er seiner Ämter enthoben; die endgültige Strafe wird durch den obersten Gerichtshof bestimmt. Wenn eine Schuldigerklärung wegen Gesetzesbruchs gegen einen Kabinettsminister ausgesprochen ist, wird er seiner Ämter enthoben und kann seiner bürgerlichen Ehrenrechte für verlustig erklärt werden.

Wenn noch andere Verbrechen begangen sind, wird der Fall einem Gerichtshof überwiesen.

Art. 64. Jede Kammer hat das Recht, durch eine Botschaft an die Regierung zu verlangen, daß eine Untersuchung gegen die Beamten eingeleitet wird, die beschuldigt sind, das Gesetz verletzt oder Fehler bei der Ausübung ihres Amtes begangen zu haben.

Art. 65. Jede Kammer hat das Recht, Petitionen der Staatsbürger zu empfangen und zu beraten.

Art. 66. Jede Kammer hat das Recht, Petitionen der Staatsbürger zu empfangen und zu beraten.

Art. 67. Die Mitglieder jeder Kammer können Anfragen an die Kabinettsminister richten oder ihre Anwesenheit bei einer Anfrage verlangen.

Art. 68. Die Mitglieder beider Kammern sind nicht verantwortlich für ihre Meinungsäußerung innerhalb der Kammer oder für ihre innerhalb der Kammer abgegebene Abstimmung.

Art. 69. Kein Mitglied des Parlaments kann während der Dauer der Sitzung ohne Ermächtigung der Kammer, der er angehört, verhaftet oder festgehalten werden, es sei denn, daß er auf frischer Tat festgenommen ist.

Wenn ein Mitglied der einen oder anderen Kammer auf frischer Tat festgenommen worden ist, so hat die Regierung unverzüglich der Kammer, der er angehört. den Grund der Verhaftung mitzuteilen. Die Kammer hat das Recht. durch Beschluß die zeitweilige Aufhebung der Verfolgung während der Dauer der Sitzung und die Entlassung des festgenommenen Mitgliedes zu verlangen.

Art. 70. Die jährliche Vergütung und die anderen Entschädigungen, die den Mitgliedern des Parlaments gewährt werden, werden durch Gesetz bestimmt.

Kapitel VII.
Der Präsident.

Art. 71. Die vollziehende Gewalt der Republik China wird vom Präsidenten mit Unterstützung der Minister ausgeübt.

Art. 72. Zur Präsidentschaft ist jeder Bürger der Republik China wählbar, der im Besitz aller Bürgerrechte ist, mindestens 40 Jahre alt ist und mehr als 10 Jahre im Lande gewohnt hat.

Art. 73. Der Präsident wird gewählt von der Wahlkörperschaft des Präsidenten, die aus den Mitgliedern des Parlaments gebildet wird.

Für diese Wahl ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Wähler notwendig; die Wahl ist geheim. Zum Präsidenten wird der Kandidat gewählt, der drei Viertel aller Stimmen erhält, doch findet nach dem zweiten Wahlgang, wenn kein Kandidat gewählt worden ist, ein neuer Wahlgang zwischen den beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen erhalten haben, statt, und wer mehr als die Hälfte der Stimmen erhalten hat, ist gewählt.

Art. 74. Das Amt des Präsidenten dauert 5 Jahre; er kann indes einmal wieder gewählt werden.

Drei Monate vor dem Ablauf der Amtszeit des Präsidenten versammeln sich die Mitglieder des Parlaments und bilden eine Wahlkörperschaft für die Wahl des neuen Präsidenten.

Art. 75. Der Präsident leistet bei seinem Amtsantritt folgenden Eid:

„Ich schwöre, die Verfassung getreu zu beobachten und meine Pflichten als Präsident gewissenhaft zu erfüllen."

Art. 76. Wenn die Präsidentschaft frei wird, folgt der Vizepräsident dem Präsidenten bis zum Ablauf der gesetzlichen Amtszeit des Präsidenten.

Wenn der Präsident aus irgendeinem Grunde nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben, vertritt ihn der Vizepräsident. Wenn die Vizepräsidentschaft zur selben Zeit frei ist, übt das Kabinett die Rechte des Präsidenten aus.

In einem solchen Falle müssen sich die Mitglieder des Parlaments innerhalb von drei Monaten versammeln und eine Wahlkörperschaft für die Wahl des neuen Präsidenten bilden.

Art. 77. Die Amtszeit des Präsidenten endet mit dem Ablauf der gesetzlichen Zeit. Wenn in diesem Augenblick der neue Präsident noch nicht gewählt ist oder zwar gewählt ist, aber sein Amt noch nicht übernommen hat und der neue Vizepräsident ebenfalls die Präsidentschaft nicht ausüben kann, werden die Geschäfte des Präsidenten vom Kabinett wahrgenommen.

Art. 78. Die Wahl des Vizepräsidenten findet zur selben Zeit statt wie die Wahl des Präsidenten und nach den Bestimmungen, die für die Präsidentschaftswahl gelten; doch wird, wenn die Vizepräsidentschaft frei geworden ist, ein neuer Vizepräsident gewählt.

Art. 79. Der Präsident verkündet die Gesetze; er überwacht und sichert ihre Ausführung.

Art. 80. Der Präsident kann Verordnungen erlassen zur Ausführung der Gesetze oder zur Ausübung der Verwaltung, die ihm durch das Gesetz übertragen ist.

Art. 81. Der Präsident ernennt und entläßt die Zivil- und Militärbeamten; sind aber in der Verfassung und in anderen Gesetzen besondere Bestimmungen getroffen, so sind diese maßgebend.

Art. 82. Der Präsident ist der oberste Befehlshaber des Heeres und der Marine der Republik und befehligt die Streitkräfte.

Die Organisation des Heeres und der Marine wird durch das Gesetz bestimmt.

Art. 83. Der Präsident vertritt die Republik völkerrechtlich.

Art. 84. Der Präsident kann mit Zustimmung des Parlaments den Krieg erklären, jedoch kann er im Falle der Verteidigung gegen einen auswärtigen Angriff die nachträgliche Zustimmung des Parlaments nach der Kriegserklärung einholen.

Art. 85. Der Präsident schließt Verträge ab. Jedoch sind Friedensverträge und solche, die sich auf die Gesetzgebung beziehen, nicht wirksam ohne Zustimmung des Parlaments.

Art. 86. Der Präsident kann im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen den Belagerungszustand erklären. Indes muß er ihn sofort aufheben, wenn das Parlament diese Maßnahme für nicht notwendig erklärt.

Art. 87. Der Präsident kann mit Zustimmung des obersten Gerichtshofes begnadigen, Strafen erlassen und Wiedereinsetzung in die bürgerlichen Rechte gewähren. Indes kann die Wiedereinsetzung, wenn im Falle der Artikel 60 und 61 das Urteil aufgehoben werden soll, nicht ohne vorherige Zustimmung des Senats ausgesprochen werden.

Art. 88. Der Präsident kann die Sitzungen der beiden Kammern schließen. Jedoch darf er nicht mehr als zwei Schließungen in derselben Sitzungsperiode vornehmen und jede Schließung darf nicht länger als 10 Tage dauern.

Art. 89. Wenn ein Mißtrauensvotum gegen die Minister des Kabinetts angenommen worden ist, muß der Präsident entweder die Minister ihres Amtes entheben oder das Abgeordnetenhaus auflösen. Doch kann die .Auflösung des Abgeordnetenhauses nicht ohne Zustimmung des Senats erfolgen. Während der Amtsdauer derselben Minister oder während der Dauer derselben Sitzung kann keine zweite Auflösung stattfinden.

Wenn der Präsident das Abgeordnetenhaus aufgelöst hat, soll er die Vornahme der Neuwahlen unmittelbar anordnen, und die Kammer soll sich nach einem Zeitraum versammeln, der fünf Monate nicht überschreiten darf.

Art. 90. Außer dem Fall des Hochverrats kann keine Verfolgung in einer Strafsache gegen den Präsidenten stattfinden, bevor er sein Amt niedergelegt hat.

Art. 91. Die Bezüge des Präsidenten und des Vizepräsidenten werden durch Gesetz bestimmt.

Kapitel VIII.
Das Kabinett.

Art. 92. Das Kabinett setzt sich aus den Kabinettsministern zusammen.

Art. 93. Die Kabinettsminister sind der Ministerpräsident und die Minister der verschiedenen Ministerien. Die Ernennung des Ministerpräsidenten ist von der vorhergehenden Zustimmung des Abgeordnetenhauses abhängig.

Wenn das Amt des Ministerpräsidenten während der Schließung der Sitzungen des Parlaments nicht besetzt ist, kann der Präsident für die Zwischenzeit einen Ministerpräsidenten ernennen. Jedoch muß die Ernennung eines neuen Ministerpräsidenten binnen 7 Tagen nach Eröffnung des Parlaments dem Abgeordnetenhaus zur Zustimmung unterbreitet werden.

Art. 95. Die Kabinettsmitglieder unterstützen den Präsidenten und sind dem Abgeordnetenhaus verantwortlich.

Die Verfügungen und die anderen Akte des Präsidenten, die sich auf die Staatsgeschäfte beziehen, sind nur wirksam, wenn sie von dem oder den zuständigen Ministern gegengezeichnet sind; dies gilt nicht für die Ernennung oder Abberufung des Ministerpräsidenten.

Art. 96. Die Minister können den Sitzungen der beiden Kammern beiwohnen und in ihnen das Wort ergreifen.

Sie können sich zur Vertretung der Gesetzentwürfe, die von der Regierung eingebracht sind, durch Delegierte vertreten lassen.

Kapitel IX.
Die Rechtsprechung.

Art. 97. Die rechtsprechende Gewalt der Republik China wird von den Gerichten ausgeübt.

Art. 98. Die Organisation der Gerichte und die Voraussetzungen zur Erlangung des Richteramtes werden durch Gesetz bestimmt.

Die Ernennung des Präsidenten des höchsten Gerichtshofes erfolgt mit Zustimmung des Senats.

Art. 99. Die Gerichte entscheiden nach den Gesetzen die Zivil-, Straf- und Verwaltungssachen und alle anderen Angelegenheiten, die nicht besonders in der Verfassung oder im Gesetz ausgenommen sind.

Art. 100. Die Verhandlungen und Urteile der Gerichte sind öffentlich. Jedoch kann, wenn die Öffentlichkeit als gefährlich für die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten angesehen wird, eine geschlossene Verhandlung angeordnet werden.

Art. 101. Die Richter sind bei der Entscheidung der Prozesse unabhängig, und es ist niemandem gestattet, sich in die Entscheidung einzumischen.

Art. 102. Die Richter können, solange sie im Amte sind, nicht in ihren Bezügen verkürzt, noch ihres Amtes enthoben oder versetzt werden, außer in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen. Die Richter können, solange sie im Amte sind, nur abgesetzt werden, wenn sie wegen Übertretung der Strafgesetze verurteilt oder mit Disziplinarstrafen wegen Verfehlung hinsichtlich ihrer amtlichen Pflichten bestraft sind.

Die vorhergehenden Bestimmungen sind nicht anwendbar im Falle einer Neuordnung des Gerichtswesens oder der Abänderung der Bedingungen über die Fähigkeit zur Erlangung des Richteramtes.

Die Disziplinarstrafen der Richter werden durch das Gesetz bestimmt.

Kapitel X.
Gesetzgebung.

Art. 103. Die Regierung und die Mitglieder beider Kammern können Gesetzentwürfe vorschlagen.

Doch kann ein Gesetzentwurf, wenn er von einer Kammer abgelehnt worden ist, nicht zum zweitenmal während derselben Tagung vorgelegt werden.

Art. 104. Jeder durch das Parlament beschlossene Gesetzentwurf soll vom Präsidenten binnen 14 Tagen nach seiner Annahme verkündet werden.

Art. 105. Wenn der Präsident einen vom Parlament beschlossenen Gesetzentwurf mißbilligt, kann er in der für die Verkündung vorgesehenen Frist seine Gründe bekanntgeben und vom Parlament eine zweite Beratung fordern.

Doch muß das Gesetz unverzüglich verkündet werden, wenn die Kammern ihre erste Entscheidung aufrecht erhalten. Wenn keine Forderung auf eine zweite Beratung gestellt worden ist, dann gilt der Gesetzentwurf als endgültiges Gesetz nach Ablauf der für die Verkündung vorgesehenen Frist.

Doch gilt die vorstehende Bestimmung nicht, wenn die Sitzungen des Parlaments geschlossen oder die Deputiertenkammer vor Ablauf der für die Verkündung bestimmten Frist aufgelöst ist.

Art. 106. Ein Gesetz kann nur durch ein anderes Gesetz geändert oder aufgehoben werden.

Art. 107. Die auf die Gesetze bezüglichen Bestimmungen sind anwendbar, wenn ein vom Parlament angenommener Beschluß ihm zur zweiten Beratung unterbreitet worden ist.

Art. 108. Jedes Gesetz, das im Widerspruch zur Verfassung steht, ist null und nichtig.

Kapitel XI.
Finanzen.

Art. 109. Die Einführung neuer Steuern und Änderungen in den Steuersätzen werden durch Gesetz bestimmt.

Art. 110. Die vorhergehende Zustimmung des Parlaments muß für die Aufnahme der staatlichen Anleihen und für die Abschließung jedes Vertrages eingeholt werden, der die Belastung des Staatsvermögens vermehrt.

Art. 111. Alle finanziellen Gesetzesvorschlage, die sich unmittelbar auf das Vermögen der Bürger beziehen, sollen zuerst vom Abgeordnetenhausberaten werden.

Art. 112. Ein Voranschlag über die jährlichen Einnahmen und Ausgaben wird jedes Jahr durch die Regierung in der Form des Staatshaushaltsplans aufgestellt. Er muß zuerst dem Abgeordnetenhaus binnen 14 Tagen nach Eröffnung des Parlaments vorgelegt werden. Wenn der Senat den durch das Abgeordnetenhaus beschlossenen Staatshaushaltsplan ändert oder aufhebt, muß er erst die Zustimmung des Abgeordnetenhauses einholen, mangels derer der Staatshaushalt in der ursprünglich durch das Abgeordnetenhaus beschlossenen Form als angenommen gilt.

Art. 113. Für gewisse besondere Zwecke kann die Regierung in den Haushaltsplan außergewöhnliche Posten aufnehmen, die sich auf eine Anzahl im voraus bestimmte Jahre beziehen.

Art. 114. Um einen möglichen Fehlbetrag des Haushalts zu decken oder für nicht im Staatshaushalt vorgesehene Ausgaben zu sorgen, kann die Regierung in den Haushaltsplan Rücklagen einstellen; die auf Grund der vorstehenden Bestimmungen getätigten Ausgaben sind der Deputiertenkammer bei ihrer nächsten Sitzung zur Genehmigung vorzulegen.

Art. 115. Ohne Zustimmung der Regierung kann das Parlament nicht die in den nachstehenden Bestimmungen aufgeführten Ausgaben streichen oder beschränken:
a) Diejenigen, die die gesetzlichen Verpflichtungen des Staats bestimmen.
b) Diejenigen, die zur Ausführung der Verträge notwendig sind.
c) Diejenigen, die durch das Gesetz bestimmt werden.
d) Die außerordentlichen Ausgaben, die sich auf mehrere Jahre erstrecken.

Art. 116. Das Parlament kann die im Haushaltsplan vorgesehenen Ausgaben nicht vermehren.

Art. 117. Vor dem Beginn des Steuerrechnungsjahres und der Beschlußfassung über den Haushaltsplan werden die jährlichen Ausgaben im Verhältnis von einem Zwölftel zur Gesamtheit der im Haushaltsplan des vorhergehenden Jahres vorgesehenen Ausgaben festgesetzt.

Art. 118. Wenn, um einem auswärtigen Angriff zu begegnen, einen Aufstand zu unterdrücken oder im Falle eines außergewöhnlichen Unglücks Hilfe zu bringen, der Ernst der Lage es unmöglich macht, die Mitglieder des Parlaments zusammenzurufen, kann die Regierung dringende finanzielle Maßnahmen vornehmen, die dem Abgeordnetenhaus zur Genehmigung binnen 7 Tagen nach Eröffnung der nächsten Sitzung vorzulegen sind.

Art. 119. Die Zahlungsanweisungen der Regierung müssen zuerst vom Rechnungshof gebilligt werden.

Art. 120. Der jährliche Bericht der Regierung über die finanzielle Lage wird zuerst vom Rechnungshof geprüft und dann dem Parlament durchdie Regierung vorgelegt.

Wenn die Berichte über die finanzielle Lage dem Abgeordnetenhaus zur Billigung unterbreitet sind oder der Gesetzentwurf, der zur Genehmigung vorgelegt ist, von dem Abgeordnetenhaus verworfen wird, sind die Kabinettsminister dafür verantwortlich.

Art. 121. Die Organisation des Rechnungshofs und die für die Mitglieder des Rechnungshofs erforderlichen Fähigkeiten werden durch Gesetz bestimmt.

Die Mitglieder des Rechnungshofs können, solange sie im Amte sind, nicht in ihrem Gehalte gekürzt noch abgesetzt oder versetzt werden, außer in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen.

Art. 122. Der Präsident des Rechnungshofs wird vom Senat gewählt. Der Präsident des Rechnungshofs kann an den Sitzungen der Kammern teilnehmen und in ihnen bei der Aussprache über den Bericht über die finanzielle Lage das Wort ergreifen.

Art. 123. Der Haushaltsplan und die zur Genehmigung vorgelegten finanziellen Entwürfe werden, wenn sie vom Parlament beschlossen sind, vom Präsidenten veröffentlicht, sobald er einen Bericht darüber erhalten hat.

Kapitel XII.
Organisation der lokalen Verwaltung.

Art. 124. Die lokalen Verwaltungsbezirke zerfallen in zwei Instanzen: die Provinzen (Sheng) und die Distrikte (Hsin).

Art. 125. Entsprechend dem Kapitel V Art. 22 dieser Verfassung kann jede Provinz sich selbst die Gesetze für die provinziale Selbstverwaltung geben. Doch dürfen diese Gesetze nicht im Widerspruch mit dieser Verfassung oder den Staatsgesetzen stehen.

Art. 126. Die Gesetze der provinzialen Selbstverwaltung werden durch die gesetzgebende Versammlung der provinzialen Selbstverwaltung abgefaßt, die sich zusammensetzt aus den Abgeordneten der Provinzialverwaltung, den Distriktsverwaltungen und den verschiedenen Berufsvertretungen, die durch Gesetz bezeichnet sind.

Die Zahl der oben bezeichneten Abgeordneten darf, abgesehen davon, daß jede Distriktsversammlung das Recht hat, einen Abgeordneten zu wählen, nicht die Hälfte der Gesamtzahl der Abgeordneten überschreiten, die von den Distriktsversammlungen gewählt sind. Diese Bestimmung gilt auch für die Abgeordneten, die von den verschiedenen Berufsvertretungen gewählt werden.

Die Abgeordneten, die von der Provinzialversammlung und von den Distriktsversammlugnen gewählt werden, brauchen nicht notwendig diesen Versammlungen anzugehören.

Das Wahlverfahren wird durch die Provinzialgesetzgebung bestimmt.

Art. 127. Die folgenden Bestimmungen gelten für alle Provinzen:
a) Die Provinz hat eine Provinzialversammlung, die das einzige Repräsentationsorgan darstellt, das aus Mitgliedern besteht, die durch direkte Wahl gewählt sind.
b) Die Provinz hat einen Provinzialverwaltungsrat (Sheng Wo Yuan), der mit der autonomen Provinzialverwaltung beauftragt ist und sich aus 5-9 Mitgliedern (Sheng Wo Yuen) zusammensetzt, die von den Bürgern der Provinz für eine Dauer von 4 Jahren unmittelbar gewählt sind.
    Bevor es möglich ist, das direkte Wahlsystem anzuwenden, können diese Mitglieder von einem Wahlkollegium gewählt werden, das entsprechend den Bestimmungen des vorhergehenden Artikels zusammengesetzt ist.
    Doch sind die aktiven Soldaten nur wählbar, wenn sie den Heeresdienst seit mehrmals einem Jahr verlassen haben.
c) Der Provinzialverwaltungsrat hat einen Präsidenten (Yuan Chang), der aus den Mitgliedern gewählt wird.
d) Die Bürger der Republik China, die in der Provinz seit mehr als einem Jahr wohnen, sind vor dem Gesetz gleich und genießen alle Bürgerrechte.

Art. 128. Die folgenden Bestimmungen gelten für alle Distrikte:
a) Der Distrikt hat eine Distriktsversammlung, die die gesetzgebende Gewalt in den Angelegenheiten der Selbstverwaltung des Distrikts hat.
b) Der Distrikt hat einen Distriktsmagistrat (Hsien Chang), der von den Distriktsangehörigen unmittelbar gewählt wird und mit der ausübenden Gewalt der Selbstverwaltung des Distrikts beauftragt ist mit Hilfe eines Distriktsrats (Hsen Tsan Sheng); doch sind die Bestimmungen nicht anwendbar vor der Trennung der richterlichen Gewalt und der völligen Organisation der Selbstverwaltung in den kleinen Verwaltungsbezirken.
c) Der Distrikt hat ferner das Recht, von den Provinzialabgaben, die auf ihn entfallen, einen Teil zurückzubehalten, der vier Zehntel der Gesamtsunme nicht übersteigen darf.
d) Die Provinzialverwaltung hat nicht das Recht, über Vermögen oder Grundstücke der Selbstverwaltung des Distrikts zu verfügen.
e) Im Falle eines öffentlichen Unglücks oder anderer unvorhergesehener Ereignisse oder Unzulänglichkeit des Vermögens der Selbstverwaltung des Distrikts, kann der Distrikt von der Provinzialverwaltung Unterstützungen verlangen, die aus dem Provinzialvermögen nach Zustimmung der Provinzialverwaltung gewährt werden können.
f) Der Distrikt muß die Gesetze und Verordnungen des Staats und der Provinz beobachten und ausführen.

Art. 129. Die Teilung der Steuern in Provinz- und Distriktsteuern wird durch die Provinzialverwaltung entschieden.

Art. 130. Die Provinz darf nicht ein oder mehrere Distrikte verschiedenen Gesetzen unterwerfen. Doch betrifft diese Bestimmung nicht die Gesetze, die im allgemeinen Interesse der Provinz erlassen sind.

Art. 131. Der Distrikt hat die alleinige ausübende Gewalt in den Angelegenheiten, die seine Selbstverwaltung betreffen. Die Provinz kann nur bei disziplinarischen Maßnahmen eingreifen, die durch das Provinzialgesetz festgesetzt sind.

Art. 132. Die Staatsregierung kann außer Beamten, die unmittelbar von ihr ernannt sind, die Organe der Selbstverwaltung der Provinz oder des Distrikts mit der Führung ihrer Geschäfte in den Provinzen und Distrikten beauftragen.

Art. 133. Wenn Organe der Selbstverwaltung der Provinz oder des Distrikts die Gesetze verletzt oder die Verfügungen, die sich auf die Führung der Verwaltungsgeschäfte des Staates beziehen, übertreten haben, kann die Staatsregierung nach Maßgabe der Gesetze ihnen Disziplinarstrafen auferlegen.

Art. 134. Die Bestimmungen des vorhergehenden Artikels sind in gleicher Weise anwendbar auf die Teile des Landes, die in Distrikte geteilt, aber noch nicht als Provinzen organisiert sind.

Art. 135. Die Äußere und die Innere Mongolei, Tibet und Tsinghai können, wenn es dem Wunsch ihrer Bewohner entspricht, in Provinzen oder Distrikte eingetheilt werden, auf die die Bestimmungen dieses Kapitels anwendbar sind. Doch wird vor dieser Einteilung in Provinzen und Distrikte die Verwaltungsorganisation durch Gesetz bestimmt.

Kapitel XIII.
Änderung, Auslegung und Geltung der Verfassung.

Art. 136. Das Parlament kann eine Verfassungsänderung vorschlagen.

Der Vorschlag auf Änderung gilt nur dann als angenommen, wenn er von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder jeder der beiden Kammern gebilligt wird.

Kein Mitglied der einen oder anderen Kammer kann einen Antrag auf Änderung der Verfassung einbringen, wenn dieser Antrag nicht von mindestens einem Viertel der Gesamtzahl der Mitglieder der Kammern unterzeichnet ist, der er angehört.

Art. 137. Die Änderung dieser Verfassung geschieht durch die Nationalversammlung.

Art. 138. Die Staatsform kann nicht den Gegenstand eines Vorschlages auf Verfassungsänderung bilden.

Art. 139. Wenn Zweifel über die Auslegung der Verfassung entstehen, werden diese durch die Nationalversammlung entschieden.

Art. 140. Die Nationalversammlung setzt .ich am den Mitgliedern des Parlaments zusammen. Die Nationalversammlung kann nur tagen, wenn sie mehr als zwei Drittel der Gesamtzahl der Mitglieder des Parlaments vereinigt, und jede Änderung der Verfassung ist nur angenommen, wenn sie von mehr als drei Vierteln der Gesamtzahl der anwesenden Mitglieder gebilligt ist. Doch genügt, wenn es sich um eine Auslegung von Zweifeln über den Sinn der Verfassung handelt, eine Mehrheit von mehr als zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder.

Art. 141. Außer den Änderungen, die gemäß den Bestimmungen dieses Kapitels erfolgen, verliert die gegenwärtige Verfassung ihre Gültigkeit und Wirksamkeit niemals, welche Veränderungen oder Ereignisse auch eintreten mögen.

Vorstehende Verfassung, die eine demokratische parlamentarische Republik nach westlichem Muster (Vorbilder waren die amerikanische und die kanadische Verfassung) schaffen sollte, galt nur kurze Zeit und nur in einem Teil der, zur damaligen Zeit in mehrere, voneinander unabhängige Provinzen aufgeteilten Republik China. Sie wurde, nachdem der Süden des Landes weitgehend unter die Herrschaft der Kuo-min-tang vereinigt wurde, faktisch durch andere Verfassungsgesetze nach den Vorstellungen des Vaters des modernen Chinas, Sun Yat-sen, ersetzt.

 


Quelle: Jahrbuch des öffentlichen Rechts Band XIV A.F., S. 495, Tübingen 1926
Hai-Chao-Chiang, Die Wandlungen im chinesischen Verfassungsrecht seit dem Zusammenbruch der Mandschu-Dynastie, 1937

© 5. Februar 2006 - 12. Februar 2006
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