Verfassungsgesetz
über die slowakischen Nationalorgane

vom 31. Juli 1956

(Verfassungsgesetz Nr. 33/1956)

aufgehoben durch Artikel 112 Abs. 2 des Verfassungsgesetzes Nr. 100/1960 vom 11. Juli 1960
die Verfassung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik betreffend

Von den Veränderungen ausgehend, zu denen es im Verlauf des sozialistischen Aufbaus sowohl in der Slowakei als auch in der ganzen tschechoslowakischen Republik gekommen ist, vom Grundsatz der Vertiefung des sozialistischen Demokratismus in der Staats- und Gesellschaftsordnung der Republik und im Bestreben, der Initiative des werktätigen Volkes in der Slowakei größeren Spielraum zu verschaffen, neue Wirtschaftsquellen in der Slowakei zu erschließen und dei brüderlichen Beziehungen zwischen dem tschechischen und dem slowakischen Volk zu festigen, hat die Nationalversammlung der tschechoslowakischen Republik folgendes Verfassungsgesetz beschlossen:

Der Slowakische Nationalrat

§ 1. Der slowakische Nationalrat ist das Nationalorgan der Staatsmacht in der Slowakei.

§ 2. Zur Zuständigkeit des slowakischen Nationalrates gehört vor allem
    die Beschlußfassung über die Gesetze des slowakischen Nationalrates,
    die Ernennung und Entlassung des Beauftragtenkollegiums und einzelner seiner Mitglieder, die Bestimmung ihrer Zahl sowie die Beschlußfassung darüber, welches Zentralstaatsamt ein einzelnes Mitglied verwaltet,
    die Beratung und Beschlußfassung über den Wirtschaftsplan der Slowakei,
    die Beratung und Beschlußfassung über den slowakischen Nationalrat,
    die Entgegennahme von Berichten des Beauftragtenkollegiums oder einzelner Staatsbeauftragter über Fragen des sozialistischen Aufbaus der Slowakei,
    die Gewährleistung günstiger Voraussetzungen für das Wirtschafts- und Kulturleben der Bürger ungarischer und ukrainischer Volkszugehörigkeit im Geist der Gleichberechtigung.

§ 3. Der slowakische Nationalrat übt in Angelegenheiten nationaler oder regionaler Art, soweit zur Sicherung der vollen Entfaltung des slowakischen Wirtschafts- und Kulturlebens besondere Vorschriften erforderlich sind, die Gesetzgebungsgewalt aus.

§ 4. Die Abgeordneten des slowakischen Nationalrates werden in der Slowakei für sechs Jahre nach Wahlkreisen gewählt, und zwar auf 35 000 Einwohner je ein Abgeordneter.

Die Wahlordnung wird als Gesetz des slowakischen Nationalrates beschlossen. Den Wahltag bestimmt das Beauftragtenkollegium spätestens 60 Tage vorher.

§ 5. Der slowakische Nationalrat prüft die Mandate seiner Mitglieder und entscheidet über die Unvereinbarkeit des Mandats mit einem anderen Amt.

Die Mandatsprüfung ist spätestens binnen sechs Monaten nach der Konstituierung des slowakischen Nationalrats bzw. binnen dreier Monate nach dem Tage der Eidesleistung durch ein Ersatzmitglied durchzuführen.

§ 6. Jeder Abgeordnete hat auf der ersten Sitzung des slowakischen Nationalrats, an der er teilnimmt, folgendes Gelöbnis abzulegen:

„Ich gelobe Treue der tschechoslowakischen Republik, ihrer volksdemokratischen Ordnung und dem Vermächtnis des slowakischen Aufstandes. Ich werde ihre  Gesetze achten und mein Mandat nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohl des Volkes und des Staates ausüben.“

Die Verweigerung der Eidesleistung oder die Gelöbnisablegung unter Vorbehalt bewirkt den Verlust des Mandats.

§ 7. Die Abgeordneten des slowakischen Nationalrats üben ihr Mandat persönlich aus. Sie können jederzeit auf dasselbe verzichten.

Für die Zeit, während der sie es ausüben, haben sie Anspruch auf Kostenersatz in den durch ein Gesetz des slowakischen Nationalrats festgesetzten Höhe.

Über die Wahlrnehmung des Mandats, über die Immunität eines Abgeordneten des slowakischen Nationalrats sowie über sein Zeugnisverweigerungsrecht, ferner über seinen Urlaubsanspruch und den Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges gelten die Vorschriften über die Abgeordneten (§§ 44 bis 47, ferner § 48 Abs. 1 und 3 der Verfassungsurkunde) entsprechend.

§ 8. Der slowakische Nationalrat wählt aus seiner Mitte ein elfköpfiges Präsidium.

Das Präsidium des slowakischen Nationalrats setzt sich aus dem Vorsitzenden, den stellvertretenden Vorsitzenden und aus den übrigen Mitgliedern zusammen.

Der Vorsitzende des slowakischen Nationalrats wird gemäß den Vorschriften der Geschäftsordnung von einem der stellvertretenden Vorsitzenden vertreten.

§ 9. Das Präsidium des slowakischen Nationalrats wird jeweils für ein Jahr gewählt. Die Wahl des Vorsitzenden und der stellvertretenden Vorsitzenden des slowakischen Nationalrats erfolgt getrennt.

Die erste Wahl ist sogleich anläßlich der Konstituierung des slowakischen Nationalrats durchzuführen. Hinsichtlich der weiteren Wahlen gilt, daß die Mitglieder des Präsidiums ihr Amt so lange behalten, als das neue Präsidium nicht gewählt ist. Ist die Wahlperiode des slowakischen Nationalrates abgelaufen, so behalten die Mitlgieder des Präsidiums ihr Amt, bis der neue slowakische Nationalrat sich sein Präsidium wählt; die Bestimmungen der §§ 43 bis 47 und § 48 Abs. 1 und 3 der Verfassungsurkunde bleiben inzwischen in Kraft.

Verliert ein Mitglied aus irgendwelchen Gründen seinen Sitz vor Ablauf der Amtsperiode des Präsidiums, so ist für die restliche Zeit eine Ersatzwahl vorzunehmen.

Der slowakische Nationalrat kann sein Präsidium oder ein einzelnes seiner Mitglieder jederzeit abberufen.

§ 10. Das Präsidium des slowakischen Nationalrats beruft den slowakischen Nationalrat ein und erklärt die Session für geschlossen. Die erste Sitzung ist spätestens vier Wochen nach der Wahl einzuberufen.

Das Präsidium ist verpflichtet, den slowakischen Nationalrat mindestens zweimal jährlich einzuberufen.

Verlangt die einfache Mehrheit der Abgeordneten des slowakischen Nationalrats unter Angabe eines Tagungsgegenstandes die Einberufung einer Sitzung des slowakischen Nationalrats, ist das Präsidium zur Anberaumung einer Sitzung in der Weise verpflichtet, daß der slowakische Nationalrat spätestens binnen 14 Tage nach dem Zeitpunkt des Antrages zusammentritt.

§ 11. Während der Zeit, in welcher der slowakische Nationalrat nicht versammelt ist, verbleibt das Präsidium im Amt (§ 9 Abs. 2).

Während dieser Zeit ernennt und entläßt das Präsidium des slowakischen Nationalrats das Beauftragtenkollegium und einzelne seiner Mitlgieder und bestimmt, welches Zentralstaatsamt ein einzelnes Mitglied verwaltet.

Diesbezügliche Anordnungen legt das Präsidium dem slowakischen Nationalrat auf seiner nächsten Sitzung zur Beratung und Genehmigung vor.

§ 12. Die Grundsätze der Geschäftsordnung des slowakischen Nationalrats, seine Beziehungen zum Beauftragtenkollegium und zur Außenwelt überhaupt regelt die durch Gesetz des slowakischen Nationalrats zu beschließende Geschäftsordnung des slowakischen Nationalrats. Seine inneren Verhältnisse sowie weitere Regeln über sein Verfahren kann der slowakische Nationalrat in den Grenzen dieses Gesetzes durch eigene Entschließung bestimmen.

Die Sitzung des slowakischen Nationalrats leitet der Vorsitzende oder einer seiner Stellvertreter.

Die Sitzungen des slowakischen Nationalrates sind in der Regel öffentlich. Geheimsitzungen können nur in den von der Geschäftsordnung vorgesehenen Fällen stattfinden.

Der slowakische Nationalrat ist bei Anwesenheit von wenigstens der Hälfte seiner Mitglieder beschlußfähig. Zur Gültigkeit eines Beschlusses ist die einfache Mehrheit erforderlich.

§ 13. Der Vorsitzende und die Mitglieder des Beauftragtenkollegiums haben das Recht der jederzeitigen Teilnahme an den Plenar- und Ausschußsitzungen. Auf ihr Verlangen ist ihnen jederzeit das Wort zu erteilen.

Auf Verlangen des slowakischen Nationalrats, seines Präsidiums oder eines seiner Ausschüsse ist ein Mitglied des Beauftragtenkollegiums verpflichtet, auf einer Sitzung zu erscheinen.

§ 14. Der slowakische Nationalrat hat das Recht, dem Vorsitzenden oder einem Mitglied des Beauftragtenkollegiums Fragen zu stellen, die den Zuständigkeitsbereich des Betreffenden betreffen. Der Vorsitzende und die Mitglieder des Beauftragtenkollegiums sind zur Beantwortung aller Fragen verpflichtet.

§ 15. Die dem slowakischen Nationalrat vorgelegten Gesetzesanträge können unter den in der Geschäftsordnung festgesetzten Bedingungen entweder vom Beauftragtenkollegium oder von den Abgeordneten des slowakischen Nationalrats ausgehen.

Jedem Antrag auf den Erlaß eines Gesetzes durch den slowakischen Nationalrat muß eine Berechnung der Kosten der Gesetzesausführung und ein mit dem Staatshaushaltsgesetz übereinstimmender Antrag hinsichtlich der Deckung dieser Kosten beigefügt sein.

§ 16. Die Gesetze des slowakischen Nationalrats sind vom Vorsitzenden des slowakischen Nationalrats, vom Vorsitzenden des Beauftragtenkollegiums und von demjenigen Beauftragten zu unterzeichnen, der es durchzuführen hat.

§ 17. Zur Gültigkeit eines Gesetzes des slowakischen Nationalrats ist erforderlich, daß es in der, von einem Gesetz des slowakischen Nationalrats bestimmten Weise verkündet wird.

Die Gesetze des slowakischen Nationalrats beginnen mit dem Satz: "Der slowakische Nationalrat hat folgendes Gesetz beschlossen:"

§ 18. Gesetze des slowakischen Nationalrats, die der Verfassungsurkunde oder einem Verfassungsgesetz widersprechen oder die Grenzen der Gesetzgebungsbefugnis des slowakischen Nationalrats überschreiten, sind ungültig. Über die Ungültigkeit entscheidet das Präsidium der Nationalversammlung.

Das Beauftragtenkollegium

§ 19. Das Beauftragtenkollegium ist das Nationalorgan der Regierungs- und Vollzugsmacht in der Slowakei.

Das Beauftragtenkollegium leitet alle Zweige und Gebiete der staatlichen Verwaltung in der Slowakei mit Ausnahme derjenigen, die von der Regierung unmittelbar für das gesamte Staatsgebiet wahrgenommen werden, wozu vor allem die auswärtigen Angelegenheiten, der Außenhandel, die nationale Verteidigung sowie der Eisenbahn- und Luftverkehr gehören. Bei dieser unmittelbaren Wahrnehmung der Regierungsgeschäfte stützt sich die Regierung auf die Zusammenarbeit mit dem Beauftragtenkollegium.

Das Beauftragtenkollegium ist berufen, die Erfüllung der Aufgaben des Wirtschafts- und Kulturaufbaus in der Slowakei zu gewährleisten.

Ihm obliegt vor allem
    die Erstellung des Entwurfs zum slowakischen Wirtschaftsplan und die Sicherung seiner Erfüllung,
    die Erstellung des Entwurfs zum slowakischen Haushaltsplan und die Sicherung seiner Erfüllung,
    die Verfügung über die zur sparsamen Erfüllung des slowakischen Wirtschaftsplans erforderlichen materiellen und finanziellen Mittel im Rahmen der durch den Staatsplan umrissenen Aufgaben,
    die Leitung und Vereinfachung der Arbeit der Zentralstaatsämter,
    die Leitung und Vereinfachung der Nationalausschüsse in der Slowakei sowie ihrer Räte sowie die rechtliche Überprüfung, die Abänderung oder Aufhebung ihrer Beschlüsse und Maßnahmen sowie der Beschlüsse und Maßnahmen ihrer Räte,
    die Leitung hinsichtlich Erstellung und Ausführung der örtlichen Wirtschafts- und Haushaltspläne,
    die Sicherung der öffentlichen Ordnung, des Schutzes der Bürgerrechte und der Staatsinteressen,
    die Vorlage von Gesetzentwürfen des slowakischen Nationalrats (§ 15) sowie von Berichten des Beauftragtenkollegiums über Grundfragen des sozialistischen Aufbaus in der Slowakei,
    der Erlaß von Verordnungen des Beauftragtenkollegiums,
    die Ernennung und Entlassung von Mitarbeitern im Rahmen seiner Zuständigkeit bzw., soweit eine Ernennung durch den Präsidenten der Republik in Betracht kommt, die Vorlage diesbezüglicher Vorschläge an die Regierung,
    die Aufsicht und Kontrolle der Arbeit solcher Unternehmen und Einrichtungen in der Slowakei, die von den Ministerien unmittelbar geleitet werden sowie die Mithilfe bei der Erfüllung ihrer Aufgaben.

§ 20. Das Beauftragtenkollegium setzt sich aus einem Vorsitzenden, den stellvertretenden Vorsitzenden und aus den übrigen Mitgliedern (Beauftragte) zusammen.

Der gewöhnliche Sitz des Beauftragtenkollegiums ist Preßburg.

Die Zentralstaatsämter werden durch Gesetz oder durch eine, auf Grund des Verfassungsgesetzes 47/1950 erlassene Verordnung errichtet bzw. aufgelöst.

Das Beauftragtenkollegium beschließt in gemeinsamer Sitzung und ist bei Anwesenheit von wenigstens der Hälfte der Mitglieder beschlußfähig.

§ 21. Das Beauftragtenkollegium und seine einzelnen Mitglieder werden vom slowakischen Nationalrat ernannt und abberufen; jener bestimmt auch, welches Mitglied ein bestimmtes Zentralamt leitet.

§ 22. Die Mitglieder des Beauftragtenkollegiums haben folgendes Gelöbnis in die Hand des Vorsitzenden des slowakischen Nationalrats abzulegen:

"Ich gelobe Treue der tschechoslowakischen Republik, ihrer volksdemokratischen Orgdung und dem Vermächtnis des slowakischen Aufstandes. Meine Pflichten werde ich gewissenhaft in Übereinstimmung mit dem Willen des Volkes und im Interesse des Volkes und Staates erfüllen. Die Verfassungs- und anderen Gesetze, wie auch die Verordnungen und Richtlinien der Regierung werde ich achten."

§ 23. Das Beauftragtenkollegium und seine Mitglieder sind dem slowakischen Nationalrat verantwortlich und haben ihm für ihre gesamte Tätigkeit Rechenschaft abzulegen.

§ 24. Das Beauftragtenkollegium und seine Mitglieder sind bei ihrer Tätigkeit an die Richtlinien der Regierung gebunden. Ebenso sind die einzelnen Mitglieder des Beauftragtenkollegiums an die grundlegenden Richtlinien der zuständigen Minister gebunden.

Die Regierung grenzt den Umkreis der Fragen ab, in denen sie im Staatsplan lediglich die Grundaufgaben und Richtzahlen festsetzt; in diesen Angelegenheiten entscheidet das Beauftragtenkollegium bzw. sein sachlich zuständiges Mitglied unter der Voraussetzung der Erfüllung der Grundaufgaben und Richtzahlen in letzter Instanz und ist dem slowakischen Nationalrat verantwortlich. Dabei handelt es sich in erster Linie um Fragen auf den Gebieten des Schul- und Kulturwesens, der Gesundheitspflege, der Land- und Waldwirtschaft, der örtlichen Wirtschaft, der Lebensmittelindustrie, des Ankaufs landwirtschaftlicher Erzeugnisse und der Wasserwirtschaft.

Widerspricht ein Beschluß des Beauftragtenkollegiums oder die Anordnung eines Beauftragten dem Gesetz oder grundsätzlichen Richtlinien der Regierung, so ist die Regierung befugt, diesen Beschluß bzw. diese Anordnung aufzuheben.

§ 25. Das Beauftragtenkollegium bzw. der sachlich zuständige Beauftragte können zur Durchführung von Gesetzen des slowakischen Nationalrats Verordnungen erlassen.

Hinsichtlich des Umfangs dieser Verordnungsgewalt sowie der Art, wie sie zu unterschreiben sind, gilt § 90 der Verfassungsurkunde entsprechend.

Gemeinsame und abschließende Bestimmungen

§ 26. Verordnungen der Regierung und einzelner Mitglieder, die zur Durchführung von Gesetzen erlassen worden sind (§ 90 der Verfassungsurkunde), gelten auf dem gesamten Staatsgebiet.

§ 27. Durch dieses Verfassungsgesetz werden die Bestimmungen des Kapitels V der Verfassungsurkunde außer Kraft gesetzt. Das gleiche hilt von allen anderen Bestimmungen der Verfassungsurkunde oder von Verfassungsgesetzen, durch welche die in diesem Verfassungsgesetz geregelten Angelegenheiten abweichens geordnet sind.

§ 28. Dieses Verfassungsgesetz tritt am Tag seiner Verkündung in Kraft; es wird von allen Ministern der Regierung durchgeführt.

in Kraft getreten am 1. August 1956

Das Verfassungsgesetz erweiterte die slowakische Autonomie im rechtlichen Sinne wesentlich. Die asymmetrische föderale Ordnung in der Tschechoslowakei, wie sie seit 1945/46 bestand, wurde beibehalten. Erst 1968 wurde sie durch eine symmetrische föderale Ordnung überführt, als auch ein tschechischer Nationalrat errichtet wurde. Das Verfassungsgesetz wurde bereits 1960 in die neue (sozialistische) Verfassung überführt.


Quelle: J.C.B.Mohr, Tübingen / Das öffentliche Recht der Gegenwart Band 8 (1959), S. 357f.
© 28. Januar 2003
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