Vertrag
zwischen den alliierten und assoziierten Hauptmächten
und
der Cechoslovakei

unterzeichnet
zu Saint-Germain-en-Laye am 10. September 1919.

(Gesetz Nr. 508/1921)

die Artikel 2 bis 8 galten als tschechoslowakisches Verfassungsgesetz

DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA, DAS BRITISCHE REICH, FRANKREICH, ITALIEN UND JAPAN,
die alliierten und assoziierten Hauptmächte,
einerseits

und DIE CECHOSLOVAKEI
andererseits,

in Anbetracht, daß die einstmals bestandene Verbindung zwischen dem ehemaligen Königreiche Böhmen, der Markgrafschaft Mähren und dem Herzogtum Schlesien einerseits und den übrigen Gebieten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie andererseits für immer und gänzlich aufgehört hat;

in Anbetracht, daß die Völker Böhmens, Mährens und eines Teiles von Schlesien sowie das Volk der Slovakei aus eigenem Willen ihre Vereinigung zu einem dauernden Bund behufs Schaffung eines einheitlichen, souveränen und selbständigen Staates unter dem Namen "cechoslovakische Republik" beschlossen und diese Vereinigung tatsächlich vollzogen haben;

daß das Volk der südkarpathischen Ruthenen sich diesem Bund angeschlossen hat;

in Anbetracht, daß die cechoslovakische Republik tatsächlich die souveräne Staatsgewalt in den oben genannten Gebieten ausübt und daß sie bereits von den übrigen Hohen vertragschließenden Teilen als souveräner und selbständiger Staat anerkannt worden ist;

die Vereinigten Staaten von Amerika, das Britische Reich, Frankreich, Italien und Japan einerseits, indem sie in Übereinstimmung mit dem am heutigen Tage mit Österreich abgeschlossenen Friedensvertrage ihre Anerkennung des cechoslovakischen Staates als souveränen und selbständigen Mitgliedes der Völkerfamilie in den bestimmten oder zu bestimmenden Grenzen bestätigen;

die Cechoslovakei andererseits von dem Wunsche geleitet, ihre Einrichtungen mit den Grundsätzen der Freiheit und Gerechtigkeit in Einklang zu bringen und diese allen Bewohnern der Gebiete, über die sie die staatliche Souveränität übernommen hat, sicher zu verbürgen;

DIE HOHEN VERTRAGSCHLIEßEN-DEN TEILE, bedacht auf die gesicherte Durchführung des Artikels 57 des genannten Friedensvertrages mit Österreich;

haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten bestellt, und zwar:

DER PRÄSIDENT DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA:

den Ehrenwerten Frank Lyon Polk, Unterstaatssekretär;
den Ehrenwerten Henry White, ehemaligen außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der Vereinigten Staaten in Rom und in Paris;
den General Tasker H. Bliss, Militärbevollmächtigten der Vereinigten Staaten beim Obersten Kriegsrat;

SEINE MAJESTÄT DER KÖNIG DES VEREINIGTEN KÖNIGREICHES GROß-BRITANNIEN UND IRLAND UND DER ÜBERSEEISCHEN BRITISCHEN LANDE, KAISER VON INDIEN:

den Sehr Ehrenwerten Arthur James Balfour, 0. M., M. P., Staatssekretär für die auswärtigen Angelegenheiten;
den Sehr Ehrenwerten Andrew Bonar Law, M. P., Großsiegelbewahrer;
den Sehr Ehrenwerten Viscount Milner, G. C. B., G. C. M. G., Staatssekretär für die Kolonien;
den. Sehr Ehrenwerten George Nicoll, Barnes, M. P., Minister ohne Portefeuille;

und

für das DOMINIUM CANADA:

den Ehrenwerten Sir Albert Edward Kemp, K. C. M. G., Minister der überseeischen Streitkräfte;

für den AUSTRALISCHEN BUND:

den Ehrenwerten George Foster Pearce, Minister der Verteidigung;

für die SÜDAFRIKANISCHE UNION:

den Sehr Ehrenwerten Viscount Milner, G. B. C., G. C. M. G.;

für das DOMINIUM NEUSEELAND:

den Ehrenwerten Sir Thomas Mackenzie, K. C. M. G., High Commissioner für Neueeeland im Vereinigten Königreich;

für INDIEN:

den Sehr Ehrenwerten Baron Sinha, K. C., Unterstaatssekretär für Indien;

DER PRÄSIDENT DER FRANZÖSISCHEN REPUBLIK:

Herrn Georges  Clemenceau, Ministerpräsidenten, Kriegsminister;
Herrn Stephen Pichon, Minister der auswärtigen Angelegenheiten;
Herrn Louis-Lucien Klotz, Finanzminister;
Herrn Andre Tardieu, Generalkommissär für die französisch-amerikanischen Kriegsangelegenheiten;
Herrn Jules Cambon, französischen Botschafter;

SEINE MAJESTÄT DER KöNIG VON ITALIEN:

den Ehrenwerten Tommaso Tittoni, Senator des Königreiches, Minister der auswärtigen Angelegenheiten;
den Ehrenwerten Vittorio Scialoja, Senator des Königreiches;
den Ehrenwerten Maggiorino Ferraris, Senator des Königreiches;
den Ehrenwerten Guglielmo Marconi, Senator des Königreiches;
den Ehrenwerten Silvio Crespi, Abgeordneten;

SEINE MAJESTÄT DER KAISER VON JAPAN:

den Viscount Chinda, außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter Sr. M. des Kaisers von Japan in London;
Herrn K. Matsui, außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter Sr. M. des Kaisers von Japan in Paris;
Herrn H. Ijuin, außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter Sr. M. des Kaisers von Japan in Rom;

DER PRÄSIDENT DER CECHOSLOVAKISCHEN REPUBLIK:

Herrn Karl Kramar, Präsidenten des Ministerrates;
Herrn Eduard Benes, Minister der auswärtigen Angelegenheiten;

WELCHE nach Austausch ihrer für gut und richtig befundenen Vollmachten ÜBER FOLGENDE BESTIMMUNGEN ÜBEREINGEKOMMEN SIND:

KAPITEL 1.

Artikel 1. Die Cechoslovakei verpflichtet sich, daß die in den Artikeln 2 bis 8 dieses Kapitels enthaltenen Bestimmungen als Grundgesetze anerkannt werden, daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung mit diesen Bestimmungen im Widerspruch oder Gegensatz stehe und daß kein Gesetz, keine Verordnung,  und keine Amtshandlung ihnen gegenüber Geltung haben solle.

Artikel 2. Die Cechoslovakei verpflichtet sieh, allen Einwohnern ohne Unterschied der Geburt, Staatsangehörigkeit, Sprache, Rasse oder Religion vollen und ganzen Schutz von Leben und Freiheit zu gewähren.

Alle Einwohner der Cechoslovakei werden berechtigt sein, öffentlich und privat jede Art Bekenntnis, Religion oder Glauben frei zu üben, insofern diese Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist.

Artikel 3. Vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen der unten angeführten Verträge erkennt die Cechoslovakei ipso facto und ohne irgendeine Förmlichkeit jene deutschen, österreichischen und ungarischen Staatsangehörigen als cechoslovakische Staatsangehörige an, welche an dem Tage des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages je nach Lage des Falles ihren Wohnsitz oder ihr Heimatrecht in dem Gebiete haben, das nach den Friedensverträgen mit Deutschland, Österreich und Ungarn oder nach irgendeinem zur Ordnung der gegenwärtigen Verhältnisse abgeschlossenen Vertrage als Bestandteil der Cechoslovakei anerkannt ist oder werden wird.

Die obengenannten, über achtzehn Jahre alten Personen haben aber die Möglichkeit, unter den in jenen Verträgen bestimmten Bedingungen für jede beliebige andere Staatsbürgerschaft zu optieren, die ihnen zugänglich sein wird. Die Option des Ehemannes schließt jene der Ehegattin und die Option der Eltern jene ihrer Kinder unter achtzehn Jahren in sich.

Personen, die von diesem Optionsrechte Gebrauch gemacht haben, müssen in den folgenden zwölf Monaten ihren Wohnsitz in den Staat verlegen, für den sie optiert haben. Es steht ihnen frei, die unbeweglichen Güter zu behalten, die sie in dem Cechoslovakischen Gebiete besitzen. Sie werden ihr gesamtes bewegliches Vermögen mitnehmen dürfen. Es wird von ihnen aus diesem Anlasse keine Ausfuhrgebühr erhoben werden.

mit "österreichische Staatsbürgerschaft" war die Staatsbürgerschaft des Kaisertums Österreich gemeint, welche auch die Tschechen besaßen.

Artikel 4. Die Cechoslovakei erkennt ipso facto und ohne weitere Förmlichkeiten Personen deutscher, österreichischer oder ungarischer Staatsbürgerschaft, die auf dem obengenannten Gebiete von Eltern geboren wurden,, welche dortselbst je nach Lage des Falles ihren Wohnsitz oder ihr Heimatrecht hatten, auch dann als cechoslovakische Staatsangehörige an, wenn diese Personen selbst am Tage des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages dort nicht ihren Wohnsitz oder nach Lage des Falles ihr Heimatrecht besitzen.

Innerhalb zweier Jahre nach dem Tage des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages können aber diese Personen vor den dazu berufenen cechoslovakischen Behörden im Lande ihres Wohnsitzes erklären, daß sie auf die cechoslovakische Staatsbürgerschaft verzichten, und hören sodann auf, als cechoslovakische Staatsangehörige betrachtet zu werden. In dieser Hinsicht wird die Erklärung des Ehemannes als für die Ehegattin und die Erklärung der Eltern als für die Kinder unter achtzehn Jahren gültig angesehen werden.

Artikel 5. Die Cechoslovakei verpflichtet sich, in keiner Weise die Ausübung des Optionsrechtes zu behindern, das durch die von den alliierten und assoziierten Mächten mit Deutschland, Österreich oder Ungarn abgeschlossenen oder abzuschließenden Verträge festgesetzt wird und den Interessenten gestattet, die cechoslovakische Staatsbürgerschaft zu erwerben oder nicht.

Artikel 6. Die cechoslovakische Staatsbürgerschaft wird ipso facto durch die bloße Tatsache der Geburt auf cechoslovakischem Gebiete von jeder Person erworben, die nicht vermöge der Geburt eine andere Staatsbürgerschaft erwirbt.

Artikel 7. Alle cechoslovakischen Staatsbürger ohne Unterschied der Rasse, der Sprache oder Religion werden vor dem Gesetze gleich sein und dieselben, bürgerlichen und politischen Rechte genießen.

Die Verschiedenheit der Religion, des Glaubens oder Bekenntnisses darf keinem cechoslovakischen Staatsbürger beim Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte und namentlich bei der Zulassung zu öffentlichen Diensten, Ämtern und Würden oder bei der Ausübung irgend eines Gewerbes oder Berufes hinderlich sein.

Den cechoslovakischen Staatsbürgern wird keinerlei Beschränkung im freien Gebrauche irgend einer Sprache im Privat- oder Geschäftsverkehr, in Angelegenheiten der Religion, der Presse oder öffentlicher Kundgebungen jedweder Art oder in öffentlichen Versammlungen auferlegt werden.

Unbeschadet der Einführung einer offiziellen Sprache durch die cechoslovakische Regierung wird den cechoslovakischen Staatsangehörigen anderer Zunge als der böhmischen angemessene Möglichkeit des mündlichen und schriftlichen Gebrauches ihrer Sprache vor Gericht geboten werden.

Artikel 8. Die zu ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten gehörigen cechoslovakischen Staatsangehörigen werden. rechtlich und faktisch dieselbe Behandlung und die gleichen Bürgschaften genießen wie die übrigen cechoslovakischen Staatsangehörigen. Insbesondere werden sie das gleiche Recht haben, humanitäre, religiöse oder soziale Anstalten, Schulen und andere Erziehungsanstalten auf eigene Kosten zu errichten, zu leiten und zu beaufsichtigen, mit dem Rechte, in denselben ihre Sprache frei zu gebrauchen und ihre Religion frei zu üben.

Artikel 9. Was das öffentliche Unterrichtswesen anlangt, wird die cechoslovakische Regierung in Städten und Bezirken, in denen ein beträchtlicher Bruchteil cechoslovakischer Staatsangehöriger anderer als böhmischer Zunge ansässig ist, angemessene Möglichkeit bieten, uni den Kindern dieser cechoslovakischen Staatsangehörigen den Unterricht in ihrer eigenen Sprache zu verbürgen. Diese Bestimmung wird jedoch die cechoslovakische Regierung nicht hindern, den Unterricht der böhmischen Sprache zu einem Pflichtgegenstande zu machen.

In Städten und Bezirken, in denen ein beträchtlicher Bruchteil cechoslovakischer Staatsangehöriger ansässig ist, die ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten angehören, wird diesen Minderheiten ein angemessener Anteil am Genusse und an der Verwendung der nach dem Staatsvoranschlag sind nach Gemeinde- oder anderen öffentlichen Voranschlägen aus öffentlichen Fonds für Erziehungs-, religiöse oder humanitäre Zwecke ausgeworfenen Beträge gewährleistet.

KAPITEL II.

Artikel 10. Die Cechoslovakei verpflichtet sich, das Gebiet der südkarpathischen Ruthenen innerhalb der von den alliiertenund assoziierten Hauptmächten bestimmten Grenzen im Rahmen des cechoslovakischen Staates als autonome Einheit einzurichten, die mit der weitestgehenden, mit der Einheitlichkeit des cechoslovakischen Staates vereinbaren Selbstverwaltung ausgestattet sein wird.

Artikel 11. Das Gebiet der südkarpathischen Ruthenen wird einen autonomen Landtag haben. Dieser Landtag wird die gesetzgebende Gewalt in sprachlichen, Unterrichts- und Religionsangelegenheiten sowie in Fragen der lokalen Verwaltung und in allen übrigen Fragen besitzen, die ihm durch Gesetze des cechoslovakischen Staates zugewiesen werden. Der Gouverneur des ruthenischen Gebietes wird von dem Präsidenten der cechoslovakischen Republik ernannt werden und dem ruthenischen Landtage verantwortlich sein.

Artikel 12. Die Cechoslovakei stimmt zu, daß, die Beamten im ruthenischen Gebiete nach Möglichkeit den Bewohnern dieses Gebietes entnommen werden.

Artikel 13. Die Cechoslovakei verbürgt dem Gebiete der Ruthenen eine gerechte Vertretung in der gesetzgebenden Körperschaft der cechoslovakischen Republik, in welche dieses Gebiet nach der Verfassung der cechoslovakischen Republik gewählte Abgeordnete entsenden wird. Diese Abgeordneten werden jedoch in dem cechoslovakischen Landtag kein Stimmrecht in allen Gesetzgebungsangelegenheiten gleicher Art haben, wie diejenigen, welche dem ruthenischen Landtag zugewiesen sind.

Artikel 14. Die Cechoslovakei stimmt zu, daß die Vorschriften der Kapitel I. und II. soweit sie Angehörige einer Rassen-, religiösen oder sprachlichen Minderheit betreffen, Verpflichtungen von internationalem Interesse begründen und unter die Garantie des Völkerbundes gestellt werden. Sie dürfen ohne die Zustimmung der Mehrheit des Rates des Völkerbundes nicht abgeändert werden. Die Vereinigten Staaten von Amerika, das Britische Reich, Frankreich, Italien und Japan verpflichten sich, solchen Abänderungen der erwähnten Artikel ihre Zustimmung nicht zu versagen, die durch die Mehrheit des Rates des Völkerbundes in gehöriger Form genehmigt werden sollten.

Die Cechoslovakei stimmt zu, daß jedes Mitglied des Rates des Völkerbundes das Recht haben soll, die Aufmerksamkeit des Rates auf jede begangene oder drohende Verletzung irgend einer dieser Verpflichtungen zu lenken, und daß der Rat in einer Weise vorgehen und solche Weisungen erteilen könne, die unter den obwaltenden Umständen geeignet und wirksam erscheinen werden.

Die Cechoslovakei stimmt weiter zu, daß jede Meinungsverschiedenheit, die über eine diese Artikel betreffende Rechts- oder Tatfrage zwischen der cechoslovakischen Regierung und irgend einer der alliierten und assoziierten Hauptmächte oder jeder anderen Macht, welche Mitglied des Rates des Völkerbundes ist, entstünde, als ein Streitfall internationalen Charakters im Sinne des Artikels 14 der Völkerbundssatzung anzusehen ist. Die cechoslovakische Regierung stimmt zu, daß jeder derartige Streitfall, wenn es der andere Teil verlangt dem ständigen internationalen Gerichtshof unterbreitet werde, dessen Entscheidung endgültig sein und dieselbe Kraft und Wirksamkeit haben wird wie eine Entscheidung nach Artikel 13 dieser Satzung.

KAPITEL III.

Artikel 15. Jede der alliierten und assoziierten Hauptmächte einerseits und die Cechoslovakei andererseits wird diplomatische Vertreter in den Hauptstädten sowie Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularagenten in den Städten und Häfen des anderen Gebietes ernennen können.

Die Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularagenten werden aber ihr Amt nicht früher antreten können, als bis sie hierzu von der Regierung, in deren Gebiet sie entsendet sind, in der üblichen Form zugelassen werden.

Die Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularagenten werden alle Vorrechte, Befreiungen und Privilegien genießen, die den Konsularvertretern der meistbegünstig-ten Nation verbürgt sind oder sein werden.

Artikel 16. Bis zur Festsetzung eines Zolltarifs durch die cechoslovakische Regierung werden die aus den alliierten und assoziierten Staate» stammenden Waren bei der Einfuhr in die Cechoslovakei keinen höheren Zöllen unterworfen werden, als die günstigsten Zölle sind, die bei der Einfuhr derselben Waren nach dem am 1. Juli 1914 gültigen österreichisch-ungarischen Zolltarif ein gehoben wurden.

Artikel 17. Die Cechoslovakei verpflichtet sich, keinen Vertrag, kein Übereinkommen oder Abkommen zu schließen und keine Verfügungen zu treffen, welche sie behindern würden, an einem allgemeinen Übereinkommen teilzunehmen, das binnen fünf Jahren vom Tage des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages unter dem Schutze des Völkerbundes zum Zwecke einer gerechten Behandlung des Handels der anderen Staaten abgeschlossen werden sollte.

Ebenso verpflichtet sich die Cechoslovakei, auf alle alliierten und assoziierten Staaten jede Begünstigung und jedes Privilegium auszudehnen, die sie etwa binnen derselben fünfjährigen Frist in Zollangelegenheiten irgend einem der Staaten einräumen würde, mit denen die alliierten und assoziierten Mächte seit August 1914 Krieg geführt haben, ausgenommen die Begünstigungen und Privilegien, die sie auf Grund der im Artikel 222 des am heutigen Tage mit Österreich abgeschlossenen Friedensvertrages erwähnten Zollvereinbarungen zuerkennen würde.

Artikel 18. Bis zum Abschlusse des oben erwähnten allgemeinen Übereinkommens verpflichtet sich die Cechoslovakei, die Schiffe aller alliierten und assoziierten Staaten, die den cechoslovakischen Schiffen dieselbe Behandlung verbürgen, wie die eigenen Schiffe oder wie die Schiffe der meistbegünstigten Nation zu behandeln.

Artikel 19. Bis zu dem unter dem Schutze des Völkerbundes erfolgenden Abschlusse eines Generalübereinkommens zur Verbürgung und Aufrechterhaltung der Freiheit des Verkehrs und der Durchfuhr verpflichtet sich die Cechoslovakei, den von oder nach einem der alliierten und assoziierten Staaten durchfahrenden Personen, Waren, Schiffen, Personen- und Güterwagen sowie Postsendungen die Freiheit der Durchfuhr auf cechoslovakischem Gebiete zu gewähren und ihnen in Bezug auf Vorteile, Abgaben, Beschränkungen oder in irgend einer anderen Hinsicht eine wenigstens ebenso günstige Behandlung zuzugestehen wie den Personen, Waren, Schiffen, Personen- und Güterwagen sowie Postsendungen der Cechoslovakei oder irgend eines anderen noch größere Begünstigungen genießenden Staates Ursprungs, Imports oder Eigentums.

Alle in der Cechoslovakei diesem Durchfuhrverkehr auferlegten Abgaben müssen im Hinblick auf die Bedingungen dieses Verkehrs vernünftig sein. Die durchgeführten Waren werden von allen Zoll- und sonstigen Abgaben befreit sein.

Gemeinsame Tarife für den Durchfuhrverkehr durch die Cechoslovakei und gemeinsame Tarife zwischen der Cechoslovakei und jedwedem alliierten oder assoziierten Staate mit direkten Fahrkarten oder direkten Frachtbriefen werden eingeführt werden, wenn es diese alliierte oder assoziierte Macht verlangt.

Die Freiheit der Durchfuhr wird auch auf den Post-, Telegraphen- und Telephondienst ausgedehnt werden.

Es versteht sich, daß kein alliierter oder assoziierter Staat das Recht haben wird, die Begünstigung dieser Bestimmungen für irgend einen Teil seines Gebietes in Anspruch zu nehmen, in dem die gleiche Behandlung hinsichtlich desselben Gegenstandes nicht wechselseitig zugestanden worden wäre.

Sollte binnen fünf Jahren von dem Tage des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages das obenerwähnte allgemeine Übereinkommen unter dem Schutze des Völkerbundes nicht abgeschlossen sein, so wird die Cechoslovakei jederzeit das Recht haben, die Bestimmungen dieses Artikels unter der Bedingung aufzuheben, daß sie hiervon zwölf Monate vorher den Generalsekretär des Völkerbundes benachrichtigt.

Artikel 20. Die Cechoslovakei verpflichtet sich, innerhalb der Frist von zwölf Monaten von dem Tage des Abschlusses des gegenwärtigen Vertrages den in der Anlage 1 aufgezählten internationalen Übereinkommen beizutreten.

Die Cechoslovakei verpflichtet sich, allen neuen Übereinkommen beizutreten, die mit Genehmigung des Rates des Völkerbundes binnen fünf Jahren von dem Tage des Inkrafttretens diesen Vertrages abgeschlossen werden und dazu bestimmt sind, eines der in der Anlage 1 aufgezählten internationalen Übereinkommen zu ersetzen.

Die cechoslovakische Regierung verpflichtet sich binnen zwölf Monaten dem Generalsekretariate des Völkerbundes bekanntzugeben, ob die Cechoslovakei beiden oder einem der beiden in der Anlage II angeführten Übereinkommen beizutreten wünscht oder nicht.

Bis zu ihrem Beitritt zu den zwei letzten in der Anlage 1 aufgezählten Übereinkommen verpflichtet sich die Cechoslovakei unter der Bedingung der Gegenseitigkeit, durch wirksame Maßregeln den Angehörigen der alliierten oder assoziierten Staaten den Schutz des gewerblichen, literarischen und künstlerischen Eigentums zu sichern. Sollte einer der alliierten und assoziierten Staaten den erwähnten Übereinkommen nicht beitreten, so verpflichtet sich die Cechoslovakei, diesen wirksamen Schutz weiterhin unter denselben Bedingungen bis zu dem Zeitpunkte zu sichern, in dem sie zu diesem Zwecke mit jenem alliierten oder assoziierten Staat einen besonderen zweiseitigen Vertrag oder ein solches Abkommen schließt.

Insolange die Cechoslovakei den übrigen in der Anlage 1 erwähnten Übereinkommen nicht beitritt, sichert sie den Angehörigen der alliierten und assoziierten Mächte die Begünstigungen, die ihnen nach den erwähnten Übereinkommen zuerkannt wären.

Die Cechoslovakei erklärt ferner, unter der Bedingung der Gegenseitigkeit alle den Angehörigen der alliierten und assoziierten Mächte zukommenden Rechte, betreffend das gewerbliche, literarische und künstlerische Eigentum, die auf irgend einem Teile ihres Gebietes anerkannt wurden oder anerkannt worden wären, wenn es nicht zu den Feindseligkeiten gekommen wäre, anzuerkennen und zu schützen. Zu diesem Zwecke wird ihnen die Cechoslovakei die durch die Artikel 259 und 260 des Friedensvertrages mit Österreich gewährte Begünstigung der Verlängerung der Fristen zugestehen.

ANLAGE I.

Postalische Übereinkommen.

Übereinkommen und Abreden des Weltpostvereins, unterzeichnet in Wien am 4. Juli 1891.

Übereinkommen und Abreden des Postvereins. unterzeichnet in Washington am 15. Juni 1897.

Übereinkommen und Abreden des Post-Vereins, unterzeichnet in Rom am 26. Mai 1906.

Telegraphen- und Funkentelegraphenübereinkommen.

Internationales Telegraphenübereinkommen, unterzeichnet in Petersburg am 10.-22. Juli 1875.

Internationale Dienstreglements und Tarife, festgesetzt von der internationalen Telegraphenkonferenz in Lissabon am 11. Juni 1908.

Funkentelegraphenübereinkommen vom 5. Juli 1912.

Eisenbahnübereinkommen.

Übereinkommen und Vereinbarungen, unterzeichnet in Bern am 14. Oktober 1890, 20. September 1893, 16. Juli 1895, 16. Juni 1898 und 19. September 1906 und die laufenden, auf Grund der besagten Übereinkommen ausgearbeiteten Nachtragsbestimmungen.

Abmachung vom 15. Mai 1886, betreffend die Art des Verschlusses der der Verzollung unterliegenden Waggons, und Protokoll vom 18. Mai 1907.

Abmachung vom 15. Mai 1886, betreffend die technische Einheit der Eisenbahnen und des Eisenbahnmaterials, abgeändert am 18. Mai 1907.

Sanitätsübereinkommen.

Pariser und Wiener Übereinkommen vom 8. April 1894, 19. März 1897 und 3. Dezember 1908.

Andere Übereinkommen.

Übereinkommen vom 26. September 1906, betreffend das Verbot der Nachtarbeit der in der Industrie beschäftigten Frauen.

Übereinkommen vom 26. September 1906 zur Unterdrückung der Verwendung von weißem. Phosphor zur Erzeugung von Zündhölzchen.

Übereinkommen vom 18. Mai 1904 und vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung des Mädchenhandels.

Übereinkommen vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger Veröffentlichungen.

Internationales Pariser Übereinkommen. vom 20. Mai 1883 zum Schutze des gewerblichen Eigentums, revidiert in Washington im Jahre 1911.

Internationales Berner Übereinkommen vom 9. September 1886 zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst, revidiert in Berlin am 13. November 1908 und vervollständigt durch das Berner Zusatzprotokoll vom 20. März 1914.

ANLAGE II.

Madrider Abkommen vom 14. April 1891, betreffend die Unterdrückung falscher Herkunftsbezeichnungen auf Waren, revidiert in Washington im Jahre 1911.

Madrider Abkommen vom 14. April 1891, betreffend die internationale Eintragung von Fabriksmarken, revidiert in Washington im Jahre 1911.

Artikel 21. Alle den alliierten und assoziierten Staaten eingeräumten Rechte und Privilegien werden auch von allen Staaten erworben, die Mitglieder des Völkerbundes sind.

Der gegenwärtige, in französischer, englischer .und italienischer Sprache abgefaßte Vertrag - dessen französischer Text im Falle von Abweichungen entscheidet - wird ratifiziert werden. Er tritt an demselben Tage wie der Friedensvertrag mit Österreich in Kraft.

Die Ratifikationen werden in Paris niedergelegt werden.

Den Mächten mit Regierungssitz außerhalb Europas steht es frei, sich auf die Mitteilung an die Regierung der französischen Republik durch ihren diplomatischen Vertreter in Paris zu beschränken, daß die Ratifikation ihrerseits erteilt ist; in diesem Falle sollen sie die Ratifikationsurkunde sobald als möglich übermitteln.

Über die Niederlegung der Ratifikation wird ein Protokoll aufgenommen werden.

Die französische Regierung wird allen Signatarmächten je eine übereinstimmende beglaubigte Abschrift des Protokolls über die Niederlegung der Ratifikationen übermitteln.

In Kraft getreten am 16. Juli 1920.

ZU URKUND DESSEN haben die eingangs genannten Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet.

GESCHEHEN zu Saint-Germain-en-Laye, den zehnten September des Jahres Eintausendneunhundertneunzehn in einem einzigen Exemplare, das im Archiv der Regierung der französischen Republik niedergelegt bleibt und wovon authentische Ausfertigungen jeder der Signatarmächte übermittelt werden sollen.

FRANK L. POLK.
HENRY WHITE.
TASKER H. BLISS.
ARTHUR JAMES BALFOUR.
MILNER.
GEO. N. BARNES.
G. F. PEARCE.
MILNER.
THOS. MACKENZIE.
SINHA OF RAIPUR.
G. CLEMENCEAU.
S. PICHON.
L. L. KLOTZ.
ANDRE TARDIEU.
JULES CAMBON.
TOM. TITTONI.
VITTORIO SCIALOJA.
MAGGIORINO FERRARIS.
GUGLIELMO MARCONI.
S. CHINDA.
K. MATSUI.
H. IJUIN.
DR. KAREL KRAMAR.
DR. EDUARD BENES.

Das vorstehende Abkommen, das in der Zwischenkriegszeit insbesondere als "Minderheitenschutzvertrag" oder "Minderheitenschutzkonvention" bezeichnet wurde, war jedoch nicht nur ein völkerrechtlicher Schutz der deutsch- und ungarischsprachigen Minderheit in der Tschechoslowakei, sondern hat auch Bestimmungen über die im Zusammenhang mit der Staatsgründung der Tschechoslowakei stehenden Angelegenheiten aufgenommen.

Gegen den Minderheitenschutz wurde, obwohl mit Verfassungsrang ausgestattet, oftmals in einfachen Gesetzen verstoßen; dies wurde deshalb durch das Tschechoslowakische Verfassungsgericht nicht gerügt, weil dieses Gericht nur unter sehr erschwerten Bedingungen angerufen werden konnte.

Der vorstehende Vertrag kann nicht gegen die Vertreibungs- und Ausweisungspolitik der Tschechoslowakei zwischen 1945 und 1948 verwendet werden, da die Vertragsparteien Japan und Italien wegen des seit 1940/41 bestehenden Kriegszustandes mit den anderen Vertragsparteien weggefallen und die verbleibenden Vertragsparteien Großbritannien, Frankreich und USA im "Potsdamer Protokoll" (Ziffer XIII.)  faktisch die Bestimmungen zum Schutz der Minderheiten in der Tschechoslowakei für obsolet erklärt haben. Allerdings wurden durch die Charta der Vereinten Nationen, deren Gründungsmitglied die Tschechoslowakei war, und die damit am 24. Oktober 1945 auch in der Tschechoslowakei geltendes Recht wurde, die Menschenrechte allgemein geltendes Völkerrecht.


Quellen: Jahrbuch des öffentlichen Rechts Band XVII (1929), Verlag Mohr, Tübingen
dt. Ausgabe der Sammlung der Gesetze und Verordnungen der Cechoslovakischen Republik Jg. 1921 Nr. 508
© 27. Dezember 2002
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