Verfassung des Kaiserreiches Japan
(Meiji-Verfassung)

vom 11. Februar 1889

aufgehoben durch
Verfassung vom 3. November 1946
(mit Wirkung vom 3. Mai 1947)

 

Nachdem wir durch die Tugend und den Ruhm Unserer Vorfahren den Thron bestiegen haben, der seit ewigen Zeiten Unserer Dynastie angehörte, in dem Wunsch, die geistigen und sittlichen Fähigkeiten Unserer geliebten Untertanen zu fördern und zu erhalten, wie es schon die liebevolle Fürsorge Unserer Vorfahren war, in der Hoffnung, das Gedeihen des Staates in Übereinstimmung und mit der Hilfe Unseres Volkes zu fördern, verkünden Wir hiermit in Bestätigung Unseres Kaiserlichen Erlasses vom 12. Tag des 10. Monats vom 14. Jahre Meiji eine fundamentale Staatsgesetzgebung, welche die Grundsätze enthält, von denen Wir Uns in Unserer Verwaltung leiten lassen wollen und nach denen sich Unsere Nachfolger, Unsere Untertanen und deren Nachkommen für immer richten sollen.

Wir haben von Unseren Vorfahren die Herrscherrechte ererbt und werden dieselben Unseren Nachfolgern hinterlassen; weder Wir noch sie werden in Zukunft jemals verfehlen, sie in Übereinstimmung mit der Verfassung, die hiermit gewährt wird, auszuüben.

Wir erklären hierdurch, dass Wir die Rechte und das Wohl des Volkes schützen und achten wollen und ihm den Genuss derselben innerhalb der Verfassung und des Gesetzes sichern werden.

Der Reichstag (Teikoku Gikai) soll zum erstenmal im 23. Jahr Meiji (1890) einberufen werden und am Tage ihrer Eröffnung soll zugleich die neue Verfassung in Kraft treten.

Sollte es in Zukunft nötig erscheinen, irgendwelche Artikel der Verfassung zu verbessern, werden Wir oder Unsere Nachfolger Uns das Recht der Initiative vorbehalten und des Reichstages Unsere Pläne vorlegen. Der Reichstag soll dann darüber abstimmen, den Bedingungen der gegenwärtigen Verfassung entsprechend, und in keiner anderen Weise sollen Unsere Nachkommen oder Unsere Untertanen eine Änderung darin vornehmen dürfen.

Unsere Staatsminister werden in Unserem Namen verantwortlich für die Ausführung der neuen Verfassung sein, und Unsere gegenwärtigen und zukünftigen Untertanen nehmen für immer dieVerpflichtung zur Treue gegenüber der neuen Verfassung auf sich.

 Unterzeichnet:

MEIJI,
Sigel des Kaisers,

Am Elften Tage im Zweiten Monats des Zweiundzwanzigsten Jahres des Meiji
(11. Februar 1889).

 

Kapitel I. Der Kaiser

Art. 1. Der japanische Staat wird für ewige Zeiten ununterbrochen von Kaisern regiert und beherrscht.

Art. 2. Die Krone ist den Bestimmungen des Kaiserlichen Hausgesetzes gemäss in dem Mannesstamme des Kaiserlichen Hauses erblich.

Art. 3. Die Person des Kaisers ist heilig und unverletzlich.

Art. 4. Der Kaiser ist das Oberhaupt des Staates. Er ist der Inhaber der Staatsgewalt und übt dieselbe nach den Bestimmungen der gegenwärtigen Verfassungsurkunde aus.

Art. 5. Der Kaiser übt die gesetzgebende Gewalt unter der Zustimmung des Reichstages aus.

Art. 6. Der Kaiser erteilt den Gesetzen die Sanktion und befiehlt deren Verkündigung und Ausführung.

Art. 7. Der Kaiser beruft den Reichstag, eröffnet, schließt und vertagt denselben und löst das Abgeordnetenhaus auf.

Art. 8. (1) Der Kaiser kann im Falle eines dringenden Bedürfnisses zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder zur Beseitigung eines öffentlichen Notstandes zu Zeiten, wenn der Reichstag nicht versammelt ist, Kaiserliche Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen.

(2) Solche Kaiserlichen Verordnungen sind dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentreten vorzulegen und falls der Reichstag dieselben nicht genehmigt, von der Regierung für künftig kraftlos zu erklären.

Art. 9. Der Kaiser erläßt die zur Ausführung der Gesetze, zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens und der öffentlichen Ordnung und zur Beförderung der Wohlfahrt der Untertanen erforderlichen Verordnungen oder befiehlt den Erlass derselben. Solche Verordnungen dürfen jedoch in keiner Wiese ein bestehendes Gesetz ändern.

Art. 10. Der Kaiser bestimmt die Organisation der verschiedenen Zweige der Staatsverwaltung, ernennt und entlässt die sämtlichen Beamten und Militärpersonen und setzt das Einkommen derselben fest, sofern nicht Ausnahmen in der gegenwärtigen Verfassungsurkunde oder in anderen Gesetzen besonders vorgesehen sind.

Art. 11. Der Kaiser führt den Oberbefehl über das Heer und die Flotte.

Art. 12. Der Kaiser bestimmt die Organisation und die Friedenspräsenzstärke des Heeres und der Flotte.

Art. 13. Der Kaiser hat das Recht, Krieg zu erklären, Frieden zu schließen und Verträge zu errichten.

Art. 14. (1) Der Kaiser erklärt den Belagerungszustand.

(2) Die Voraussetzungen und Wirkungen des Belagerungszustandes werden durch Gesetz bestimmt.

Art. 15. Der Kaiser verleiht Adel, Rang, Orden und andere Auszeichnungen.

Art. 16. Der Kaiser gewährt Amnestie, Straferlaß, Strafumwandlung und Rehabilitation.

Art. 17. (1) Eine Regentschaft findet den Bestimmungen des Kaiserlichen Hausgesetzes gemäß statt.

(2) Der Regent übt die dem Kaiser zustehenden Gewalten in dessen Namen aus.

Kapitel II. Von den Rechten und Pflichten der Untertanen

Art. 18. Das Gesetz bestimmt die Bedingungen für die Eigenschaft eines japanischen Untertanen.

Art. 19. Allen japanischen Untertanen sind, sofern sie die nach Gesetz oder Verordnung erforderlichen Eigenschaften besitzen, ohne Unterschied alle Zivil- und Militär- und sonstigen öffentlichen Ämter gleich zugänglich.

Art. 20. Alle japanischen Untertanen sind zum Dienst im Heere oder in der Flotte verpflichtet gemäß den Bestimmungen des Gesetzes.

Art. 21. Alle japanischen Untertanen sind verpflichtet, Steuern zu zahlen, gemäß den Bestimmungen des Gesetzes.

Art. 22. Alle japanischen Untertanen haben innerhalb der Grenzen des Gesetzes die Freiheit der Wohnsitznahme und der Wohnsitzveränderung.

Art. 23. Kein japanischer Untertan darf in Haft genommen oder in Haft gehalten, zur Untersuchung gezogen oder bestraft werden außer in Gemäßheit des Gesetzes.

Art. 24. Kein japanischer Untertan darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

Art. 25. Außer in den gesetzlich bestimmten Fällen darf die Wohnung keines japanischen Untertanen ohne die Einwilligung desselben betreten oder durchsucht werden.

Art. 26. Außer in den gesetzlich bestimmten Fällen ist das Briefgeheimnis eines jeden japanischen Untertanen unverletzlich.

Art. 27. Das Eigentum eines jeden japanischen Untertanen ist unverletzlich. Ausnahmen, welche im öffentlichen Nutzen nötig sind, werden durch Gesetz bestimmt.

Art. 28. Alle japanischen Untertanen genießen, soweit es nicht gegen Frieden und Ordnung verstößt, und nicht ihren Pflichten als Untertanen Abbruch tut, Freiheit des religiösen Bekenntnisses.

Art. 29. Alle japanischen Untertanen haben innerhalb der Grenzen des Gesetzes Freiheit der Rede, der Schrift, der Veröffentlichung, der öffentlichen Versammlung und der Bildung von Vereinen.

Art. 30. Jeder japanische Untertan hat das Petitionsrecht unter Beobachtung der gehörigen Formen der Ehrerbietung und in Übereinstimmung mit den hierfür getroffenen besonderen Bestimmungen.

Art. 31. Durch die in diesem Kapitel enthaltenen Bestimmungen soll die Ausübung der dem Kaiser zustehenden Gewalten zur Zeit eines Krieges oder im Falle eines nationalen Notstandes nicht berührt werde

Art. 32. Die in den vorhergehenden Artikeln dieses Kapitels enthaltenen Bestimmungen finden auf die Offiziere und Mannschaften des Heeres und der Flotte Anwendung, insoweit sie nicht in Widerspruch mit den militärischen Gesetzen oder Regeln und mit der Disziplin des Heeres und der Flotte stehen.

Kapitel III. Vom Reichstage

Art. 33. Der Reichstag besteht aus zwei Häusern, dem Herrenhause (oder Oberhaus) und dem Abgeordnetenhause.

Art. 34. Das Herrenhaus wird in Gemäßheit der Verordnung, betreffend das Herrenhaus, aus den Mitgliedern der Adelsverbände und aus Personen, welche vom Kaiser berufen werden, gebildet.

Art. 35. Das Abgeordnetenhaus besteht aus Mitgliedern, welche vom Volke nach den Bestimmungen des Wahlgesetzes gewählt werden.

Art. 36. Niemand kann zu gleicher Zeit Mitglied beider Häuser sein.

Art. 37. Jedes Gesetz bedarf der Zustimmung des Reichstages.

Art. 38. Beide Häuser haben über die ihnen von der Regierung vorgelegten Gesetzentwürfe abzustimmen. Jedem Hause steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen.

Art. 39. Ein Gesetzesvorschlag, welcher durch das eine oder das andere der beiden Häuser verworfen worden ist, darf in derselben Sitzungsperiode nicht wieder eingebracht werden.

Art. 40. Jedes Haus hat das Recht, auf Gesetze oder auf irgendeinen anderen Gegenstand sich beziehende Vorstellungen an die Regierung zu richten. Wird eine solche Vorstellung nicht angenommen, so darf sie in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt werden.

Art. 41. Der Reichstag wird alljährlich einberufen.

Art. 42. Die Sitzungsperiode des Reichstages soll drei Monate dauern. Im Falle des Bedürfnisses kann die Dauer der Sitzungsperiode durch Kaiserlichen Befehl verlängert werden.

Art. 43. (1) Im Falle eines dringenden Bedürfnisses kann außer der ordentlichen Sitzungsperiode eine außerordentliche Berufung stattfinden.

(2) Die Dauer einer außerordentlichen Sitzungsperiode wird durch Kaiserlichen Befehl bestimmt.

Art. 44. Die Eröffnung, Schließung, Verlängerung einer Sitzungsperiode und die Vertagung des Reichstages erfolgt für beide Häuser gleichzeitig.

Art. 45. Ist das Abgeordnetenhaus aufgelöst worden, so haben auf Kaiserlichen Befehl Neuwahlen der Mitglieder stattzufinden, und ist das neue Haus innerhalb fünf Monate vom Tage der Auflösung an einzuberufen.

Art. 46. In keinem Hause des Reichstages kann eine Debatte eröffnet oder eine Abstimmung vorgenommen werden, wenn nicht ein Drittel der Gesamtzahl der Mitglieder desselben anwesend sind.

Art. 47. Die Abstimmung erfolgt in beiden Häusern nach absoluter Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag.

Art. 48. Die Sitzungen beider Häuser sind öffentlich. Auf Verlangen der Regierung oder infolge Beschlusses des Hauses können jedoch die Beratungen in geheimer Sitzung stattfinden.

Art. 49. Jedes Haus hat für sich das Recht, Adressen an den Kaiser zu richten.

Art. 50. Beide Häuser können Petitionen von Untertanen entgegennehmen.

Art. 51. Beide Häuser können außer den durch die gegenwärtige Verfassungsurkunde und durch das Gesetz, betreffend den Reichstag, getroffenen Bestimmungen die zur Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten nötigen Regeln aufstellen.

Art. 52. Kein Mitglied eines der beiden Häuser darf für eine in dem Hause ausgesprochene Meinung oder für eine Abstimmung in dem Hause außerhalb seines Hauses zur Verantwortung gezogen werden. Hat indessen ein Mitglied seine Meinung durch öffentliche Rede, Druck oder Schrift oder auf ähnliche Weise selbst weiter veröffentlicht, so ist es nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich.

Art. 53. Kein Mitglied eines der beiden Häuser kann während der Sitzungsperiode ohne Genehmigung des Hauses in Haft sein außer im Falle der Ergreifung bei Ausübung der Tat oder wegen strafbarer Handlungen, welche mit einem Aufruhr im Inlande oder wegen strafbarer Handlungen, welche mit einem Aufruhr im Inlande oder mit auswärtigen Unruhen in Verbindung stehen.

Art. 54. Die Staatsminister und die Vertreter der Regierung können zu jeder Zeit in jedem der beiden Häuser erscheinen und das Wort ergreifen.

Kapitel IV. Von den Staatsministern und dem Geheimen Rat

Art. 55. Die betreffenden Staatsminister haben dem Kaiser ihren Rat zu geben und sind dafür verantwortlich.

Alle Gesetze, Kaiserlichen Verordnungen und Kaiserlichen Erlasse jeder Art, welche sich auf Staatsangelegenheiten beziehen, bedürfen der Gegenzeichnung eines Staatsminister.

Art. 56. Die Mitglieder des Staatsrates haben in Gemäßheit der über die Organisation des Staatsrats getroffenen Bestimmungen über wichtige Staatsangelegenheiten zu beraten, über welche sie vom Kaiser um Rat gefragt werden.

Kapitel V. Von der richterlichen Gewalt

Art. 57. (1) Die richterliche Gewalt wird im Namen des Kaisers durch die Gerichte gemäß dem Gesetz ausgeübt.

(2) Die Organisation der Gerichte wird durch Gesetz bestimmt.

Art. 58. Zu Richtern können nur diejenigen ernannt werden, welche die nach dem Gesetz erforderliche Befähigung besitzen.

Art. 59. Die Verhandlungen vor dem Gericht und die Verkündung der Urteile desselben erfolgen öffentlich. Wenn jedoch die Öffentlichkeit eine Gefährdung des Friedens und der Ordnung oder der öffentlichen Sittlichkeit besorgen lässt, so kann die Öffentlichkeit der Verhandlung durch gesetzliche Vorschrift oder durch Beschluss des Gerichts ausgeschlossen werden.

Art. 60. Alle Angelegenheiten, welche zur Zuständigkeit eines besonderen Gerichts gehören, sind ausdrücklich durch Gesetz zu bestimmen.

Art. 61. Die Gerichte dürfen in keinem Rechtsstreit entscheiden, welcher vermeintlich durch ungesetzliche Massregeln der Verwaltungsbehörden verletzte Rechte betrifft und zur Zuständigkeit der besonders durch Gesetz errichteten Verwaltungsgerichte gehört.

Kapitel VI. Von den Finanzen

Art. 62. (1) Die Auflage einer neuen Steuer oder die Abänderung der Beträge einer bestehenden Steuer erfolgt durch Gesetz.

(2) Solche Verwaltungsgebühren oder andere Einnahmen jedoch, welche die Natur einer Gegenleistung haben, fallen nicht unter den vorhergehenden Absatz.

(3) Die Aufnahme von Staatsanleihen und die Übernahme anderer Verbindlichkeiten zu Lasten der Staatskasse bedürfen, wenn sie nicht im Staatshaushaltsetat vorgesehen sind, der Zustimmung des Reichstages.

Art. 63. Die gegenwärtig bestehenden Steuern werden in der bisherigen Weise forterhoben, bis sie durch ein neues Gesetz abgeändert werden.

Art. 64. (1) Die Ausgaben und Einnahmen des Staates bedürfen der Zustimmung des Reichstages mittels eines jährlichen Staatshaushaltsetats.

(2) Zu allen Ausgaben, welche die Voranschläge in den Titeln und Paragraphen des Staatshaushaltsetats übersteigen oder welche nicht in dem Staatshaushaltsetat vorgesehen sind, ist die nachträgliche Genehmigung des Reichstages erforderlich.

Art. 65. Der Staatshaushaltetat wird zuerst dem Abgeordnetenhause vorgelegt.

Art. 66. Die Ausgaben für das Kaiserliche Haus werden alljährlich aus der Staatskasse zu dem gegenwärtig dafür festgestellten Betrage geleistet und bedürfen der Zustimmung des Reichstages nicht, außer wenn eine Erhöhung derselben für notwendig befunden werden sollte.

Art. 67. Bereits feststehende Ausgaben, welche auf den nach der Verfassungsurkunde dem Kaiser zustehenden Gewalten beruhen, ferner solche Ausgaben, welche durch gesetzliche Bestimmungen veranlaßt werden oder deren Leistung zu den gesetzlichen Verpflichtungen der Regierung gehört, dürfen ohne Mitwirkung der Regierung von dem Reichstage weder abgelehnt noch vermindert werden.

Art. 68. Zur Befriedigung unvorhergesehener Bedürfnisse kann die Regierung beim Reichstage die Bewilligung eines bestimmten Betrages als Fonds zu fortlaufenden Ausgaben auf eine vorher festgesetzte Reihe von Jahren nachsuchen.

Art. 69. Zur Deckung unvermeidlicher Fehlbeträge und für im Staatshaushaltetat nicht vorgesehene Bedürfnisse ist in den Staatshaushaltetat ein Reservefonds einzustellen.

Art. 70. (1) Wenn der Reichstag infolge der äußeren oder inneren Lage des Landes nicht einberufen werden kann, so kann die Regierung im Falle eines dringenden Bedürfnisses zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit alle notwendigen finanziellen Maßregeln mittelst Kaiserlicher Verordnung treffen.

(2) In dem im vorhergehen Absatz erwähnten Falle ist die Angelegenheit dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentreten zur Genehmigung vorzulegen.

Art. 71. Wenn der Reichstag nicht über den Staatshaushaltsetat abgestimmt hat, oder wenn der Staatshaushaltsetat nicht zustande gekommen ist, so hat die Regierung den Staatshaushaltsetat des vorhergehenden Jahres weiter auszuführen.

Art. 72. (1) Die Schlussrechnung über die Ausgaben und Einnahmen des Staates ist von dem Rechnungshofe zu prüfen und festzustellen und zusammen mit den Bemerkungen des Rechnungshofes von der Regierung dem Reichstage vorzulegen.

(2) Die Organisation und die Befugnisse des Rechnungshofes werden durch ein besonderes Gesetz bestimmt.

Kapitel VII. Zusatzbestimmungen

Art. 73. (1) Wenn es in Zukunft nötig werden sollte, die Bestimmungen der gegenwärtigen Verfassungsurkunde abzuändern, so wird auf Kaiserlichen Befehl ein darauf bezüglicher Entwurf dem Reichstage vorgelegt werden.

(2) In diesem Falle kann kein Haus die Debatte eröffnen, wenn nicht zwei Drittel der Gesamtzahl der Mitglieder desselben anwesend sind, und keine Abänderung der Verfassungsurkunde kann angenommen werden, wenn nicht eine Mehrheit von nicht weniger als zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder dafür stimmt.

Art. 74. (1) Abänderungen des Kaiserlichen Hausgesetzes unterliegen nicht der Beratung des Reichstages.

(2) Keine Bestimmung der gegenwärtigen Verfassungsurkunde kann durch das Kaiserliche Hausgesetz abgeändert werden.

Art. 75. Während der Dauer einer Regentschaft kann keinerlei Abänderung der Verfassungsurkunde oder des Kaiserlichen Hausgesetzes vorgenommen werden.

Art. 76. (1) Alle zu Recht bestehenden Bestimmungen, wie Gesetze, Regulative, Verordnungen oder welche Namen sie sonst führen mögen, bleiben, soweit sie nicht der gegenwärtigen Verfassungsurkunde zuwiderlaufen, auch ferner in Kraft.

(2) Alle bestehenden Verträge oder Verbindlichkeiten, welche der Regierung Verpflichtungen auferlegen und mit Ausgaben verbunden sind, fallen unter die Bestimmung des Art. 67.

Für die vorstehende Verfassung wurde die geltende preußische Verfassung von 1850 zum Vorbild genommen. Bismarck hat sogar teilweise in direkter Art in die Verfassungsberatungen der japanischen Regierung eingegriffen. Sie wurde vom Kaiser oktroyiert und sah die Staatsgewalt allein beim Kaiser, der allerdings in deren Ausübung an die Verfassung gebunden wurde. Die Verfassung konnte jedoch die Militärherrschaft, die faktisch ab ca. 1930 in Japan geherrscht hat, nicht verhindern, sondern hat diese sogar begünstigt. Bis ca. 1930 war Japan jedoch eine fast parlamentarische Monarchie, und die jeweiligen Parteiführer bzw. Kompromisskandidaten zwischen den Parteien wurden vom Kaiser zu Premierministern ernannt, doch hat bereits seit 1905 das Militär verstärkt Druck auf die parteiischen Regierungen ausgeübt. Viele der Premierminister kamen während ihrer Amtszeit gewaltsam ums Leben.

 


Quellen: Altmann, Wilhelm, Ausgewählte Urkunden zur ausserdeutschen Verfassungsgeschichte seit 1776, Berlin 1913
Seiten von Prof. Dr. Andreas Kley

© 22. Juni 2006


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