Das Meyers Conversations-Lexikon 2. Auflage (1867) macht keine verfassungsrechtliche
Angaben zum Afghanistan um 1865.
Erst im Neuen Brockhaus 3. Auflage (1960) konnte ich zu Afghanistan lesen:
"Staat. Afghanistan ist eine erbliche Monarchie (Verfassung vom 30.10.1931). Neben der vom Volk gewählten Nationalversammlung (171 Abgeordnete) steht der Senat; der König (bis 1926 Emir) hat ein Veto-Recht gegen alle Gesetze. Einteilung in 12 Provinzen unter Gouverneuren. Rechtsprechung nach einheimischem islamischem Recht (hanefit. Ritus), Währungseinheit ist der Afghani."
und
"Geschichte. Im 16. und 17. Jahrhundert war Afghanistan zwischen
Persien und dem indischen Mogulreich geteilt, bis Mitte des 18. Jahrhunderts
Ahmed Schah (1747-73) ein mächtiges Reich gründete. Seit den
30er Jahren des 19. Jahrhunderts herrschte in Kabul Dost Mohammed, bis
1839 mit Hilfe der Engländer Schudscha Schah die Regierung übernahm.
Nach dem Aufstand von 1841/42 mußten die Engländer Kabul verlassen,
Dost Mohammed eroberte die Herrschaft zurück und wurde 1855 von der
britischen Regierung anerkannt. Unter seinem Sohn Schir Ali (1863-79) begannen
die engl.-russischen Auseinandersetzungen um Afghanistan. Mit Abd ur Rahman
(1880-1901) und dessen Sohn Habib (1901-1919) siegte der englische Einfluß.
Im engl.-russischen Abkommen von 1907 wurde von beiden Großmächten
die Unabhängigkeit und der Besitzstand Afghanistans anerkannt. Habib
Ullahs Sohn Aman Ullah (1919-29, seit 1926 König) führte 1919
gegen England Krieg und erhielt von England die Zusicherung außenpolitischer
Unabhängigkeit (heutige Grenzlinie wurde 1919 festgelegt); seine überstürzten
Reformpläne führten zu seinem Sturz. Sein Vetter Nadir Schah
(1929-33) hob die meisten der Reformen wieder auf. Dessen Sohn Sahir Schah
(seit 1933) wahrte die Unabhängigkeit gegenüber den Weltmächten.
Seit 1946 ist Afghanistan Mitglied der Vereinten Nationien, seit 1955 gehört
er den Bandungstaaten ("Bewegung der Blockfreien") an."
Der Fischer Weltalmanach 1966 beschreibt die Staats- und Regierungsform Afghanistans im Jahr 1964/65 so:
"Konstitutionelle Monarchie - Parlament ("Shura") aus 2 Kammern, Senat ("Meshrano Jirgah"=Haus der Ältesten), 1/3 vom König ernannt, 2/3 gewählt; Unterhaus ("Wolesi Jirgah"=Haus des Volkes), in allgemeinen Wahlen für 4 Jahre gewählt. Außerdem Versammlung der Notabeln, "Loya Jirgah", unregelmäßig aus besonderen Anlässen einberufen - Wehrpflicht - Verwaltungsgliederung in Provinzen"
und weiter
"Die am 1. 10. 1964 vom König unterzeichnete neue Verfassung
wird am 1. 10. 1965 wirksam und schafft praktisch eine konstitutionelle
Monarchie, d.h. die beschränkt die bisher fast absoluten Befugnisse
des Königs. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, die Verwaltung
bleibt zentralistisch, in den Provinzen werden Provinzialräte, in
den Städten Stadträte gewählt. Staatsreligion ist der Islam
mit den Riten der Hanafi-Lehre, Nationalsprache ist Paschtu (Pashtu, Ammstsprachen
sind Paschtu und Dari (Farsi)".
Im Fischer Weltalmanach 1978 heißt es:
"Am 14. 2. 1977 wird von der "Loya-Jirgah" (Große Versammlung)
die erste republikanische Verfassung verabschiedet: Die Hauptpunkte:
Die gesetzgebende "Meli-Jirgah" (Unterhaus) wird durch allgemeine Wahlen
(voraussichtlich 1979) bestimmt; die "Loya-Jirgah" (Abgeordnete des
Unterhauses und zusätzlich Repräsentanten der Völker) wählt
mit 2/3-Mehrheit den Präsidenten. Die Exekutive besitzt weitreichende
Vollmachten. Der sunnitische Islam und das Koran-Recht sind bevorrechtet.
Der Präsident ist auch Regierungschef und "Führer der Partei
der Nationalen Revolution." - Die "Loya-Jirgah" wählt mit Wirkung
vom 1. 3. 1977 für eine Übergangszeit von zwei Jahren Präsident
Mohammed Daud (seit dem Sturz der Monarchie durch den Staatsstreich vom
17. 7. 1973 an der Macht) zum Staatsoberhaupt; er bildet nach Ablösung
der Militärregierung ein Kabinett aus Zivilisten."
Im Fischer Weltalmanach 1979 heißt es:
"Mohammed Daud, verantwortlich für den Sturz des mit ihm verwandten
Königs im Putsch vom 17. 7. 1973 und angetreten mit dem Versprechen,
die Korruption zu beseitigen und Reformen durchzuführen, bleibt trotz
Kooperation mit der Sowjetunion und auch nach Inkrafttreten der Reformverfassung
von 1977 ohne Erfolg, er entgeht z. T. knapp mehreren Anschlägen.
- Die Entwicklung schreitet nur ungenügend vorwärts, die staatlichen
Betriebe arbeiten mit Verlust, zwei Fünftel der Bevölkerung leben
weiterhin am Randes des Existenzminimums. - Am 27. 4. 1978 kommt es unter
Mitwirkung der Kommunisten zu einem blutigen Militärputsch, der nach
tagelangen Kämpfen den Machtwechsel erzwingt. In der Nacht zum 1.
Mai 1978 wurde die "Demokratische Republik Afghanistan" ausgerufen und vom
neuen "Revolutionsrat" der Führer des prosowjetisch-kommunistischen
Flügels der Demokratischen Volkspartei, Mohammed Taraki, zum Staats-
und Regierungschef ernannt. ..."
Die Verfassung vom 14.2.1977 wurde nach dem Militärputsch vom 27.4.1978 suspendiert. 1979 kam es neuerlich zum Putsch und zum Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan. Es kommt zum Bürgerkrieg, da viele Menschen in Afghanistan das kommunistische Regime als ungläubig ansehen und ablehnen. Außerdem werden die radikalen revolutionären Veränderungen der Gesellschaft abgelehnt und bekämpft. Nachdem 1986 erneut ein (allerdings friedlicher) Machtwechsel stattgefunden hat, kommt es am 29.11.1987 zur Einberufung einer, mit 1500 Delegierten besetzten Loya Jirga, die den bisherigen Vorsitzenden des Revolutionsrates, Mohammed Najibullah, zum Präsidenten der Republik Afghanistan wählen und am 30.11.1987 eine Verfassung verabschieden, nach der der Staatsname wieder in "Republik Afghanistan" geändert wird, die Blockfreiheit zum Verfassungsprinzip erhebt und eine Nationalversammlung (Meli Schura) aus zwei Kammern: Senat und Repräsentantenhaus, eingerichtet wird.. Im Jahr 1990 kommt es zu einer Verfassungsreform, die ein Mehrparteiensystem in Afghanistan ermöglicht. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen Anfang 1990 verstärkt sich der Bürgerkrieg zwischen der kommunistischen Regierung und den Volksmuschaheddin-Gruppen. Nachdem von Staatspräsident Najibullah bereits den Mudschaheddin die Machtübergabe für Ende April 1992 vereinbart wurde kommt es zwar noch zu einem Putsch, bei dem Najibullah gestürzt wird, doch können die Putschisten den Einmarsch der Volksmudschaheddin in Kabul am 25.4.1992 nicht mehr verhindern. Es wird ein 51köpfiger Übergangsrat gebildet, der jedoch einen Teil der Volksmudschaheddin ausschließt. Am 12.5.1992 wird die "Islamische Republik Afghanistan" ausgerufen und die Kommunistische Partei verboten. Am 28.6.1992 wird der (heute völkerrechtlich noch anerkannte) Burhanuddin Rabbani zum Staatspräsidenten Afghanistans gewählt. Bereits im August 1992 kommt es zu ersten Kämpfen zwischen den einzelnen Gruppen der Volksmudschaheddin, die erst 1994 gebildete Taliban-Miliz hat ab 1995 die Oberhand und kann am 27.9.1996 Kabul einnehmen. Die völkerrechtlich immer noch anerkannte Regierung ("Nordallianz") flieht nach Nordafghanistan. Eine Verfassung wurde noch nicht ausgearbeitet.